Im Namen Des Schweins
ist zu einer einzigen Fläche verschmolzen, bei der sich Gehweg und Fahrbahn nicht mehr unterscheiden lassen. Die geparkten Autos haben sich in pummelige Gestalten mit Seitenfenstern verwandelt.
Die Kirche ist halb verschüttet, gerade an den Stellen, wo der Wind den Schnee hingefegt hat. Die Scheinwerfer des Glockenturms dampfen und malen bläulich gefärbte Flecke auf das weiße Dach. Die Glocken ertönen in diesem Augenblick in ihrer vollen Zahl: Jeden Tag schlagen sie nur ein einziges Mal so lange hintereinander, bis vierundzwanzig schier endlose Glockenschläge verklungen sind. P schaut auf seine Armbanduhr, um den Rhythmus der Kirchturmuhr mit der echten Uhrzeit zu vergleichen. Er stellt wieder und wieder Berechnungen im Kopf an, so schwer fällt es ihm, hinzunehmen, dass der Glockenturm seine eigene, undurchschaubare Regelmäßigkeit besitzt. Jeder Tag ist anders, so launisch wie die menschliche Vorstellung von der Zeit.
Die pechschwarze Gestalt einer Katze, die über die weißen Dächer steigt, lenkt ihn von seinen mathematischen Überlegungen ab. Sie kommt maunzend heran, als würde sie gegen die luftige Konsistenz des Schnees Protest einlegen wollen, der unter ihren feinen Pfoten einbricht und es ihr kaum erlaubt, so herumzuspringen wie sonst. Seit es vor drei Tagen angefangen hat zu schneien, ist sie nicht mehr aufgetaucht, und P freut sich, sie gesund und munter wiederzusehen. Ihr schwarzes Fell glänzt und sie scheint bei vollen Kräften zu sein. Er beobachtet, wie sie die letzten Meter vorsichtig über das Geländer läuft und näherkommt:
Maaaui Zum ersten Mal schreckt sie nicht zurück, als P seine Hand nach ihr ausstreckt: Sie macht einen Buckel unter seiner Handfläche.
»Was ist los, hm, es ist kalt, was? Wo willst Du denn um diese Zeit auf den Dächern hin …?«
Das Tier hat Hunger, maunzt und zeigt seine scharfen Zähnchen. Dann hüpft sie auf den Boden, geht in die Wohnung hinein und saust in die Küche. P geht hinter ihr her, macht den Kühlschrank auf und sucht nach etwas Handfestem, das eine Katze essen mag. Es gibt noch ein paar Scheiben getrocknete Salami, die er mit der Schere klein schneidet und auf ihren Teller legt.
Außerdem wären da auch noch drei Eier, die ihn auf die Idee bringen, ihr eine Tortilla zuzubereiten, die er dann wiederum unter dem Wasserhahn abkühlt. Die Salami dürfte zu würzig für sie sein. Die Katze behandelt sie jedenfalls mit aller erdenklichen Vorsicht. Dagegen verschlingt sie die Tortilla als wäre sie eine lebende Beute. P macht ihr auch ein bisschen Milch warm und packt noch ein Löffelchen Zucker hinein, bevor er ihr das Tellerchen hinstellt. Eine Portion Glukose extra gegen die Kälte, denkt er. Ob das gut ist, weiß er auch nicht. Sie schleckt sie so genüsslich wie immer. Dabei ist ihre Haltung so zivilisiert wie die einer Dame, die sich ihre Serviette auf den Schoß legt: Gebückt sitzt sie vor dem Schüsselchen, hat ihre Öhrchen angelegt und die Vorderpfötchen überaus vornehm zusammengestellt.
Als P hinuntergeht, ist es schon finstere Nacht. Die Kälte wird immer schlimmer, man spürt sie an den Ohren, die weh tun und Frostbeulen ankündigen. Im Café unter den Arkaden lodert seit Stunden das Feuer, so gut es in dem Kamin nur geht. Es ist brechend voll, so als würde ein wichtiges Fußballspiel im Fernsehen übertragen. Diesmal aber hat die eine Hälfte des Dorfes lediglich Lust, die andere Hälfte nach zwei Tagen völliger Zurückgezogenheit mal wiederzusehen. Beethoven ist natürlich da, aber auch der Robocop, die Heidi, das Priesterlein … Aus dem Schlachthof sind der Franzose, Rito und Sankt Martin da, die ja eigentlich noch arbeiten müssten, aber heute viel früher Schluss gemacht haben als sonst, weil fast nichts mehr zu tun war. Die Stimmung ist euphorisch. Es wird getrunken und lauthals gelacht … Sie überstürzen sich fast, um P zu berichten, dass von der Straße ins Tal nichts mehr zu sehen ist. Sie sind von der Welt abgeschnitten, mehr noch als sonst. Der Schnee wird gefrieren und es wird Tage dauern, manche meinen sogar Wochen, bis er wieder verschwindet. In den Nachrichten wurden eisige Temperaturen angesagt. Der Franzose erzählt, das Thermometer in seinem Lieferwägelchen habe minus acht Grad angezeigt, als er den Motor laufen ließ, damit er nicht einfriert. Beethoven wettet, dass sie noch in dieser Nacht unter fünfzehn Grad kommen. P lässt sich von der allgemeinen Hochstimmung mitreißen, er fühlt sich fast wohl. Es
Weitere Kostenlose Bücher