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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pablo Tusset
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Balkon. Sie fallen fast übereinander her angesichts des Schnees. Die Wolken bedecken den ganzen Himmel. Es sieht so aus, als würden kleine Wolkenteile herabfallen. Die drei strecken ihre Hände aus dem Schutz des Vordachs hervor, um ein paar Flocken zu fangen, die dicht und in großer Menge herabsegeln. Nicht einmal die gegenüberliegenden Fassaden sind noch zu sehen. Das erzeugt die Illusion, als wäre es der Betrachter selbst, der hoch in den Himmel steigt. Alles ist bereits in diese Stille eingepackt, die zum Schneefall gehört. Als könnten die Ohren mit einem Mal die Leere hören. Die Stimmen und das Gekicher von zwei Bäuerinnen, die in der Tür der Bäckerei stehen geblieben sind, klingen ungewohnt klar und unbeeinträchtigt vom Nachhall herüber. Auch das Priesterlein hat die Nase aus der Metzgerei gesteckt und lässt sich den Schnee ins Gesicht fallen. Er schaut in den Himmel und hat die Arme ausgebreitet, als wolle er an das Kreuz erinnern. Weiter hinten, in den Arkaden, ist die Susi aus dem Café herausgekommen. Sie sieht aus wie eine schutzsuchende Einsiedlerin. Eine Hand hält sie vor die Stirn, damit ihr der Schnee nicht in die Augen fällt. Dabei dreht sie sich um sich selbst.
    Ein Traktor kommt die Hauptstraße heraufgefahren, es ist Kainsmal, der auf der Höhe der Metzgerei seinen Arm schwingt wie ein Gaucho, der seine Bolas auswirft. Er stößt einen seiner Kriegsschreie aus und das Priesterlein macht es ihm nach und auch der Robocop, der ein paar Meter weiter bei der Susi auftaucht und den Saum seines Mantels hochnimmt, um seine nackten Beine zu schwingen und zu tanzen. Die Reifen des Traktors haben eine markante schwarze Spur in das Weiß gefressen, die sich aber alsbald wieder verwischt, bis sie ganz verschwunden ist. Der trockene, kalte Schnee deckt sie mit Leichtigkeit zu. Sogar die metallene Balustrade auf dem Balkon der Genossenschaft ist unter dem Schnee nicht mehr zu sehen. Sankt Martin nimmt sich eine Handvoll davon, um ihn der Nieves und P ins Gesicht zu werfen. Ja, sogar dem Metzger. Auch er wollte das Wunder nicht verpassen und ist samt Whiskyglas mit auf den Balkon gekommen. »Scheiße noch mal, dieses Jahr wird es dicke kommen«, sagt er und setzt sich auf ein Bänkchen, um seine lädierten Beine auszuruhen. Dieser Moment hat Anmut. Alle sprühen vor Lust draufloszuplappern, sich anzufassen, sich dafür zu beglückwünschen, am Leben zu sein und die ersten Schneeflocken eines weiteren Winters fallen sehen zu dürfen. Nieves nimmt P am Arm. Mit der anderen Hand streicht sie sich über ihren runden Bauch, als würde sie bereits das Köpfchen ihres Kindes liebkosen. Sankt Martin hat sich ihm auf der anderen Seite an die Schulter gehängt und haut ihm auf die Brust: »Scheiße noch mal, Schähms Bonnt, wetten, dass es in der Stadt nie so schneit?«, sagt er, als wäre der Schneefall ein Verdienst der Dorfveteranen.
    »Mensch, Metzger, scheiße noch mal, lach mal ein bisschen, so schlimm ist die Welt doch nicht!« Dann sehen sie, wie Rito mit dem Hintern wackelnd die Straße heraufkommt, so wie eben nur Rito mit dem Hintern wackeln kann. Als hätte er Stöckelschuhe an. »Hui: gütiger Himmel!«, er schaut hinauf zum Balkon, bevor er durch die Tür hereinhuscht und von denen da oben mit großem Gebrüll begrüßt wird: »Rito, scheiße noch mal, komm ruff, sonst vakühlste de Dir de Eierchen!«
    ***
    Nach zweieinhalb Tagen hat es endgültig aufgehört zu schneien. P hält eine lange Siesta am Ofen.
    Als die Wärme nachlässt, wacht er auf. Vermutlich ist nicht mehr viel Glut im Ofen. Er steht auf, um noch etwas verschlafen zu heizen, stellt das Radio an und macht sich einen Kaffee. Luz Casal läuft: y no me importa nada, nada … Er trinkt Kaffee und raucht eine Zigarette. Dann geht er von Raum zu Raum und öffnet die Fensterläden, um zu sehen, wie es um die Welt steht. Draußen ist die Luft klar und reglos. Der Horlá hat sich in einen weißen Mönch mit dunklem Gesicht verwandelt. Alles ist still und ruhig.
    Als P die Balkontür öffnet, fällt ein bisschen Schnee herein. Er hat keinen Schneeschieber im Haus und behilft sich mit der Kehrschaufel, um einen kleinen Weg bis zur Brüstung freizuräumen. Die Temperatur ist in den letzten Stunden rapide gesunken. Im magenta- und zyanidfarbenen Licht der Abenddämmerung spürt P die Kälte nicht so wegen der Anstrengung mit der Kehrschaufel, aber die Ohren tun weh, die Hände sind taub und die Haut wird zusehends röter. Die Straße unten

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