Im Namen Des Schweins
Schraube noch ein wenig anzuziehen: »Darf ich das als Kompliment verstehen?« Auch er lächelt.
Sie sieht so aus, als würde sie einen Augenblick darüber nachdenken: »Mmm … Nein. Oder ja: Ich habe eine Schwäche für Kappen. Als kleines Mädchen wurde ich nämlich von einem Hund gebissen …«
Natürlich stellt eine solche Inkongruenz eine echte Herausforderung für Ts Esprit dar. Zumal wenn sie mit einem Lidaufschlag einhergeht, der einem perplexen Vogel Strauß würdig gewesen wäre.
Er überlegt einen Augenblick, holt tief Luft und sagt:
»Einmal im Leben ein Hund sein …«
Das ist zwar keine besonders einfallsreiche Antwort, aber sie ist immerhin mutig und offensiv … Und tut ihre Wirkung. Das spürt man an der Art und Weise, wie sie den Kiefer seitlich schiebt und die Pupillen himmelwärts rollt. Vermutlich als Parodie auf einen Boxer am Rande des Knock-out. Aber er ist sich bewusst, dass ihm fürs Erste keine weitere Bemerkung in diese Richtung herausrutschen darf. Das war lediglich ein Vorstoß. Deshalb fügt er wie bei einem Punkt ohne neuen Absatz hinzu: »Also, ich wollte Dir den Reisepass vorbeibringen und Dich noch ein paar Dinge fragen …«
Jetzt stellt T ein paar Fragen, die er sich für diese Gelegenheit zurechtgelegt hatte: Wann er mit einer Antwort rechnen dürfe, wie es um die Verlängerungsmöglichkeiten des Stipendiums bestellt sei … Bald ist es an der Zeit, ein wenig Konversation in die Beratung einfließen zu lassen. Die sollte einen intelligenten, aber auch persönlichen Eindruck machen und eine gewisse Sensibilität durchscheinen lassen. Als sie besprechen, ob es günstiger sei, zurück nach Spanien zu fliegen, bis der Bescheid komme oder eben nicht, nutzt T die Gelegenheit, um einzustreuen, dass er überhaupt keine Lust habe, zurückzufliegen, sondern die Zeit viel lieber hier überbrücken würde. Damit eröffnet er sich die Möglichkeit, ausführlicher über die Faszination zu reden, die diese Stadt auf ihn ausübt: Sie reden über Rolltreppen, die aussehen, als kämen sie aus grauer Vorzeit, über Registrierkassen mit Kurbel, über Messingaufzüge, vor denen man insgeheim darauf hofft, dass Spencer Tracy herauskommt … Er findet innige Worte, um davon zu berichten, auf welch verblüffende Weise ihm vieles hier überraschend alt vorkommt. Diese alte Pracht, die sich ihm seit seiner Kindheit in Schwarz-weiß-Bildern eingeprägt hat. Damals waren sie eingerahmt von einem Fernseher oder einer Kinoleinwand; jetzt dagegen habe er sie täglich in all ihren echten Farben vor sich. Die überproportionierten Dimensionen, der dekadente Charme. T hütet sich natürlich davor, seinen Lieblingsvergleich mit dem toten Hund anzubringen, ebenso wenig wie die Metapher mit den eifrigen Würmern, die sich über den Kadaver hermachen. Stattdessen versucht er, Suzanne in eine Unterhaltung zu verwickeln. Wo sie gewohnt habe, bevor sie in die Stadt kam? Sie erzählt, dass sie die letzten Jahre zwischen Santander und Sligo hin und her gependelt sei: Sie studierte in Spanien und verbrachte die freie Zeit in Irland. Aber hier bremst sie ein wenig, weil sie doch ein bisschen verblüfft ist über diesen Typen, der gestern aussah wie Indiana Jones und heute wie James Bond und der es außerdem wagt, von sich zu behaupten, dass er gern einmal ein Hund wäre, um sie zu beißen. Wau.
»Ich will Dir nicht länger die Zeit stehlen. Diesmal habe ich auch den Reisepass nicht vergessen …«, sagt T, sobald ihm auffällt, dass ihr eine Pause gut tun würde und sie auch schon seit einigen Minuten keine Grimassen mehr schneidet.
»O.K.«, sagt sie mit ihrem echten, ganz unverstellten Lächeln. Dann steht sie von ihrem Stuhl auf und geht zu ihm hinüber. »Gibst Du ihn mir für einen Moment, dann mache ich schnell eine Kopie. Oder genauer gesagt zwei: Eine von der ersten Seite und eine vom Einreisestempel. Die sind fürs Immigration Office …« Sie geht zum Kopiergerät und legt das Original ein. »Hast Du eine Telefonnummer, unter der Du zu erreichen bist?«
»Ja, die von meinem Hotel. Vielleicht kennst Du die Nummer aus einem Lied von Glenn Miller: Pennsylvania sechstausendundnochwas.«
»Warte mal, dann gebe ich Dir besser meine Karte«, sie geht zu ihrem Schreibtisch und nimmt eine Visitenkarte vom Stapel. »Ruf mich in ein paar Wochen wieder an, ja?«
T hat das Gefühl, dass es jetzt unbedingt wieder ein wenig in die Richtung gehen muss, in der er vorhin Halt gemacht hat: »ich weiß nicht, ob ich mich
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