Im Namen Des Schweins
nur hätte erwidern und an derselben Haltestelle mit dem Mädchen hätte aussteigen müssen, um ihr dann zu folgen, wohin sie mit ihm wollte. Gleichwohl flirteten ihre Augen nicht oder sahen verführerisch aus. Nein, das Angebot war eher kalt und entschlossen. Ein wenig ähnelte der Blick in diesem Sinn sogar den Skinheads aus dem Jeep. Nur dass T in der U-Bahn versuchte, woanders hinzuschauen und sich nur gelegentlich vergewisserte, dass sie unverblümt insistierte. An mehreren Tagen hintereinander war ihm so etwas Ähnliches immer wieder passiert, wenn auch häufiger mit weißen Angelsächsinnen. In diesem Sinn blieb die Schwarze aus der U-Bahn eine Ausnahme. Selbst ein Weißer versuchte mit ihm zu flirten. Im West Village. Ein junger, ausgesprochen dünner Mann in einem groben Leinenanzug. In wenigen Tagen hätte er mit einem halben Dutzend unterschiedlicher Personen mitgehen können. Umsonst. Allein wegen seines Aussehens, denn er hatte in keiner Weise etwas zu deren Verführung beigetragen.
Ein attraktiver Mann muss er also sein, denkt T. Außerdem kann er liebenswürdig sein, kultiviert, höflich … Alles in allem: Er ist ein hübscher und sympathischer Typ. Was noch? Plötzlich fallen ihm Wort für Wort die Sätze ein, die eine gewisse Frau aus seiner Vergangenheit einmal zu ihm gesagt hat: »Deine Einsamkeit und Deine Traurigkeit sind zum Kotzen. Man kommt überhaupt nicht an Dich ran.« Damals war T nicht bewusst, dass dies ein schwerwiegender Vorwurf war. Er blieb still und hörte ihrer Anklage zu, die vage Schuldgefühle in ihm auslöste. »Du redest nie über Deine Gefühle. Das Leben mit Dir ist wie mit einem Autisten.« Hinter jedem Wort steckte eine Wut, die zunahm, je mehr er sich in sein Schweigen ergab: »Du musst diese Traurigkeit einmal aufarbeiten. Du musst sie ein für alle mal loswerden. Kotz das doch endlich mal alles aus Dir raus. Warum bist Du bloß so wahnsinnigverschlossen? Hör endlich auf damit, um Gottes willen«. Gerade diese letzten Worte kamen T unerträglieh grausam vor. So sehr, dass er sich nicht mehr erinnert, wie er darauf reagiert hatte. Sein Gedächtnis erspart ihm gern die unangenehmsten Erinnerungen. Aber das dürfte ja allen so gehen, nicht? Wir lernen doch alle, das zu verdrängen, was uns weh tut. Er kommt aus der Dusche und trocknet sich ab. Dann holt er den elektrischen Rasierapparat hervor. Er hätte sich rasieren sollen, bevor er unter die Dusche ging. Jetzt werden die Haare auf der feuchten Haut kleben. Zur Musik des Radios rasiert er sich erst trocken, dann noch mal nass, bis sein Gesicht ganz nackt ist. Es ist weich und wo vorher der Bart war, schimmert es jetzt leicht bläulich. Dann konzentriert er sich darauf, die Garderobe auszuwählen. Außer der Kleidung und der kleinen Uhr mit dem schwarzen Ziffernblatt, hat er sich gestern Nachmittag ein paar schwarze italienische Schuhe zugelegt, 199 Dollar, ein Flakon Boucheron, 105 Dollar, und eine Lederkappe, die er in einem Hutladen am Herald Square für 59 Dollar entdeckte. Er breitet alles auf dem Bett aus und entscheidet sich nach einigen Anproben für den grauen Anzug mit einem feinen Hugo-Boss-Hemd. Zum Schluss stülpt er sich die Ledermütze schief über die Stirn. Dann betrachtet er sich von Kopf bis Fuß im Spiegel der Badtür. Er achtet darauf, den durchweichten Boden dabei nicht zu betreten. Eigentlich sieht er immer noch nicht viel jünger aus. Ob ihm die Kappe den gewünschten Irish touch verleiht, ist auch nicht so sicher. Ganz abgesehen davon, wie naiv es ist, anzunehmen, dass einer Halbirin Männer mit schiefen Kappen gefallen. Auf jeden Fall lässt sich von seinem schlichten, aber ausgefeilten Look behaupten, dass er vergleichsweise europäisch aussieht hier in der Stadt. Abgesegnet. Damit geht er hinunter auf die Straße.
Der Morgen ist grau und feucht, die Straßen dampfen aus all ihren Ritzen und die höchsten Gebäude verschwinden in den Wolken wie kopflose Gespenster. Als er die Fifth Avenue hochgeht, beobachtet er die Passanten, um zu prüfen, wie sie auf seine Ledermütze reagieren. Eine Blondine kommt mit ihrem Lover, der aussieht wie ein Operettenmillionär, im Minirock aus einer Boutique heraus. Er ist um die fünfzig, dick, klassisch angezogen, hat eine qualmende Zigarre zwischen den Lippen und wirkt unbeeindruckt vom strengen Rauchverbot auf der Straße. Ein Stückchen weiter zieht ein Schwarzer in Unterhose und Krankenhauskittel seine Habseligkeiten in einer Obstkiste an einer Schnur
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