Im Namen Des Schweins
scheinen einfach nur darauf zu warten, dass die Kunden auf eigene Initiative auf sie zugehen, als würden sie sich einen Backenzahn ziehen lassen wollen, der sie quält. Er trinkt dort einen Whisky nach dem anderen, bis er müde genug ist, und zum Schlafen hoch in sein Hotel geht.
Am Samstag hält er sich ein wenig zurück. Er will unter keinen Umständen mit einem größeren Kater aufwachen. Außerdem zwingt er sich dazu, noch vor Mitternacht ins Bett zu gehen. Die Gedanken schweifen zu der Frage, was er zu seinem sonntäglichen Treffen im Park anziehen soll. Sie beschäftigt ihn so, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Am besten wären natürlich ein paar Jeans, ein Sweatshirt und ein paar Sportschuhe. Er hat kein Sweatshirt dabei. Auch nichts in der Richtung. Viele Läden haben allerdings auch am Sonntag geöffnet … Nach ein Uhr in der Nacht versucht er erst gar nicht mehr, einzuschlafen, sondern schaltet den Fernseher an. Auf CKM läuft Der Prinz aus Zamunda, Coming to America in der Originalversion. Er freut sich, als er merkt, dass er die Dialoge verhältnismäßig gut verstehen kann. Sein Englisch wird von Tag zu Tag besser. Eddie Murphy als Sohn des Königs von Zamunda reist nach Queens, um eine Braut und damit die Prinzessin seiner Träume zu finden. Als er in der Stadt ankommt, verheimlicht er seinen Status als Thronfolger, nimmt einen Job als Putzkraft an und verliebt sich in die Tochter des Pizzakönigs: in die begehrteste Perle des Viertels. Dieselbe Stadt. Auch eine Frau. Es ist fast schon drei, als er den Fernseher ausschaltet, aber sein Hirn ist zu stimuliert, um schlafen zu können. Er hat Hunger. Es dauert nicht lang, bis ihm klar wird, dass er sich im Zentrum einer Stadt befindet, die niemals schläft. In der Stadt, in der eben noch der Film spielte. Er zieht sich eine Hose an, ein Hemd und eine leichte Jacke über und geht hinunter auf die Straße.
Es sind noch ziemlich viele Lokale geöffnet. Die Berge an Müllsäcken, die davor stehen, türmen sich mittlerweile über die Köpfe hinweg. Der dichte Strom aus Touristen, Büroleuten und arbeitender Bevölkerung hat sich verflüchtigt zugunsten des spärlicheren Verkehrs der üblichen Nachteulen, von denen ihm allerlei Exemplare auf dem Weg zum koreanischen Selfservice begegnen. Er hat Lust auf ein bestimmtes Gericht. Das Wasser läuft ihm bereits im Mund zusammen, als er den Laden nur sieht.
Er betritt den grell erleuchteten Innenraum, lädt sich ohne weitere Umschweife eine riesige Portion Hühnerflügelchen auf den Teller. Nur das: Hühnerflügelchen. Dann füllt er sich an den Zapfhähnen ein großes Glas mit Eis und Coca-Cola. Die Cola kommt durch den Druck schäumend herausgeschossen. Das Glas beschlägt in kürzester Zeit vor Kälte, weil es bis oben hin gefüllt ist mit Eiswürfeln. An der Waage steht nun ein junger, für einen Asiaten sehr kräftiger Mann. Von Fu Man Chu und seinem Bärtchen ist ebenso wenig zu sehen wie von der Schlange. Im oberen Stockwerk sind lediglich drei, vier Tische belegt, so dass er sich den Tisch in der Mitte aussuchen kann, der gerade vor der großen Glasfront zur Straße hin steht.
Er isst mit bedächtigem Genuss. Die Flügelchen sind heiß, knusprig und sehr würzig. Die Coca-Cola ist so kalt und strotzt so vor Kohlensäure, dass er bei jedem Schluck die Augen schließen muss. Vor seinem Fenster sieht die Seventh Avenue in etwa so aus, wie er sich eine Hässlichkeitsutopie vorstellt, die auf eine Kinoleinwand projiziert wird. Das schwarze Plastik der Müllsäcke im flackernden Licht der Neonleuchten. Ein riesiges Foto von Michael Jordan wirbt am Gebäude gegenüber für Klamotten. Und der Hall der Hupen und Sirenen vermittelt das Gefühl, sich im geometrischen Zentrum der Stadt schlechthin zu befinden. Oder zumindest in ihrem Leichnam, der von den schlaflosen Würmern bearbeitet wird, die in gelbe Taxis hinein- oder wieder hinausklettern. Aber für einen Augenblick fühlt sich T rein gar nicht wie ein Wurm in einem toten Straßenköter. Eher wie ein Besatzungsmitglied an Bord einer Arche, die noch mit starken Tauen vor der Küste liegt und auf die Sintflut wartet, auf die Katastrophe, auf den großen Angriff aus dem All. Es würde in diesem Fall genügen, die Trosse zu lösen: würde die Arche gerettet, wäre die ganze Menschheit gerettet. An Bord befände sich die Essenz der Welt. Vom Abgründigsten bis zum Erhabensten. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gehen, verspeist T unzählige
Weitere Kostenlose Bücher