Im Namen Des Schweins
Rolltreppe bereits verlassen, als T sie zu sich zieht, sie in den Arm nimmt und ihr einen Kuss auf die Wange gibt. Es ist eine kurze Berührung, die sie eher sprachlos akzeptiert. Danach nimmt er ihre Hand, führt Suzanne zu den Regalen und überfliegt die alphabetisch sortierten Fächer: Bluegrass, Blues, Cajun, Country & Western, Dixie, Folk …
Schnell haben sie zwei CDs von Joe Jackson und fünf von Burl Ives ausfindig gemacht, die T allesamt kauft. Dazu noch eine mit Volksliedern, auf deren Hülle der Weihnachtsmann höchstpersönlich in einem gestrickten Wollpullover portraitiert worden zu sein scheint.
Auf dem Rückweg steigen sie im West Village aus der U-Bahn, zwei Blocks entfernt von Suzannes Wohnung. Sie gehen in eine Kneipe, setzen sich an einen Tisch und bestellen zwei Bier. Lediglich ein Gast sitzt noch am Tresen. Bruce Springsteen läuft: Sad eyes. Suzanne sieht aus, als wäre ihr nicht danach, Spaß zu haben, sondern als ginge ihr etwas durch den Kopf:
»Warum ausgerechnet im Mordkommissariat?«, fragt sie unvermittelt.
T hat die Frage nicht verstanden. Über Suzannes Gesicht hat sich plötzlich wieder das Portrait des Gemäldes geschoben
»Warum was?«
»Deine Kartei im Computer ist voll mit Dokumenten, auf die wir keinen Zugriff bekommen, aber irgendwo habe ich gesehen, dass Du im Mordkommissariat arbeitest.«
»Stimmt. Weiß auch nicht … Vermutlich, weil mir Menschen Angst machen, die brutal sind, zumal, wenn sie so weit gehen, zu töten.«
Pause, Bier.
»Und suchst Du Dir Deine Arbeit immer danach aus, was Dir am meisten Angst macht?
»Es gibt viele Methoden, seine Ängste in den Griff zu kriegen. Ich will wahrscheinlich dem Monster in die Augen schauen. Wenn ich im Mittelalter gelebt hätte, wäre ich womöglich in die Berge gezogen, um Drachen zu töten.«
Suzanne ist immer noch still. T wechselt Thema und Tonfall: »Das ist das einzig halbwegs erträgliche Lied von Springsteen, hier singt er wenigstens mal nicht so, als säße er mit lauter Ratten in einem Loch. Ich würde gern wissen, was er singt?«
»Hör einfach zu, die Worte müsstest Du eigentlich alle verstehen.«
»Oh, da bin ich mir nicht so sicher. In meiner Jugend habe ich immer gedacht, Smoke on the water heißt ›Rauchen aufm Klo‹. Und das war dann natürlich Marihuana, klar … Leuchtet doch irgendwie ein: Smoke on the water and flying to the sky.«
»And FIRE IN the sky. Der Rauch ist über dem Wasser und das Feuer steht am Himmel, da geht’s um einen Brand, Mann.«
»Siehst Du? So geht mir das immer.«
Suzanne lacht.
»Du weißt schon, dass es sehr ungezogen ist, sich über ältere Leute lustig zu machen, hm?«, sagt T.
»Ich mache mich nicht lustig. Du bist manchmal einfach witzig.«
»Oho, das freut mich aber. Vor ein paar Tagen habe ich nämlich im Radio gehört, dass Frauen an Männern am wichtigsten finden, dass sie sie zum Lachen bringen können. Ich nehme mal an, das ist eines unserer Political-correctness-Märchen, bin aber wild entschlossen, ab jetzt daran zu glauben.«
Suzanne denkt kurz nach: »Humor ist nicht schlecht. Aber es gibt noch wichtigere Dinge.«
»Beispielsweise …? Das würde mich interessieren …«
»Och, Einfühlungsvermögen zum Beispiel. Überhaupt zu fühlen. Die meisten Jungs, die ich kennengelernt habe, waren wie kleine Jungs, die einen auf harten Macker gemacht haben. Und die Männer, die da etwas weiter waren, versuchten zu beeindrucken: mit ihrer Karriere, Geld, ihrer Intelligenz … Es ist gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der … keine Ahnung … dem Lieder von Burl Ives gefallen … Sogar die bisexuellen Schwulen haben so ein Imponiergehabe mit ihren Muskeln und Feuchtigkeitscremes.«
»Du stehst wohl nicht auf harte Männer?«
»Mir gefallen Männer, die stark sind, ohne es raushängen zu lassen … Weißt Du, was ich meine?« Sie sieht dabei aus wie ein starker Träumer. »Ein Italiener hat’s mir zum Beispiel angetan, dem eine Metzgerei in der Nähe unserer Wohnung gehört. Er sieht nicht besonders gut aus, dürfte so um die fünfzig sein, hat immer dieselbe gestreifte Schürze an, aber den könnte ich immer um mich haben, weil der so etwas Nettes ausstrahlt … Wie Du siehst, bin ich nicht gerade sehr modern, und außerdem bin ich gar nicht daran gewöhnt, Bier zu trinken.«
»Modern bin ich auch nicht besonders. Manchmal denke ich, dass es verrückt ist, dass wir alle versuchen, genau das Gegenteil von unseren Großeltern zu machen, was auch
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