Im Namen Des Schweins
immer die gewesen sein mögen.
»Meine Großeltern sind toll. Sie wohnen in Llanes … Kennst Du Llanes? Das ist in Oviedo. Es ist wunderschön dort. Wir sind an Weihnachten immer alle dort Ich brauche nur in ihrem Haus zu sein, und schon überkommt mich die Sehnsucht nach einer Welt, die ich in Wirklichkeit nie kennengelernt habe: einer am Feuer, mit langen Tafeln, einer großen Familie …« Suzanne spielt mit dem Feuerzeug herum und trinkt dann noch einen Schluck Bier: »Weißt Du was? Ich musste heute noch oft an das denken, was Du mir beim Essen erzählt hast.
»Über die Verstoßenen …?«
»Ja …« Suzanne schaut T nicht mehr in die Augen, sondern auf das Bierglas. »Wir hatten ein adoptiertes Kind in unserer Klasse. Und alle haben ihn fertiggemacht: Er war zwei, drei Jahre älter als wir und war sehr … sehr hässlich … unappetitlich, hatte komische Haare und fleckige Zähne, als ob er sie nie putzen würde. Soweit ich weiß, hatten ihn zwei Familien schon wieder zurückgegeben, weil er so merkwürdig war … Und alle sagten, dass seine Zähne so aussehen, weil er Exkremente esse … Was man halt so sagt in der Schule … Mir hat er schon leid getan, aber ehrlich gesagt wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich um ihn zu kümmern. Ich hatte sogar ein bisschen Angst vor ihm … Davon ist bei mir hängen geblieben, dass Waisenkinder irgendwie komisch und hässlich sind. Versteh mich jetzt bitte nicht falsch. Ich legte mir das damals wohl so zurecht: keine Familie zu haben, muss so unglaublich sein, dass es ungeheure Spuren und Male hinterlässt …«
»Ach, weißt Du, bei mir hat es auch ein paar ungeheure Spuren hinterlassen …«
Auf Suzannes Gesicht ist abzulesen, dass sie da anderer Meinung ist: »Vor Dir habe ich keine Angst. Du bist von Kopf bis Fuß gelungen: freundlich … siehst gut aus«, sie fährt sich mit einer Hand übers Gesicht, schaut dabei durchaus ernst in die Ferne wie ein Filmstar auf einem Foto.
»Freut mich, dass Dir das nicht entgangen ist …«, T lächelt.
»Nein, im Ernst … Wenn mich jemand fragen würde … würde ich sagen: Du wirkst glücklich, zufrieden … Du hast so eine ähnliche Ausstrahlung wie mein italienischer Metzger.«
Ts Lächeln strahlt jetzt nicht mehr so: »Das liegt nur an Dir«, er greift nach dem Bierglas, ohne einen Schluck zu nehmen. »Noch vor einer Woche hätte ich nie gedacht, dass ich witzig sein kann. Es gab niemanden, den ich zum Lachen hätte bringen können. Das ist doch auch eine Form von Wundmal, findest Du nicht?«
»Hast Du keine Freunde in Spanien?«, ihre Bewegungen sehen nach Lärm und Feiern aus.
»Freundschaft find ich ein lauwarmes Gefühl. Die gibt’s in der Kindheit und der frühen Jugend, aber ab dreißig bedeutet sie nur sehr wenig.«
»Das glaubst Du doch wohl selbst nicht, oder …? Find ich überhaupt nicht.«
»Du bist ja auch erst vierundzwanzig, in sechs Jahren sprechen wir uns noch mal …
»Das hat doch nichts mit dem Alter zu tun …
»Und ob das was mit dem Alter zu tun hat. Das ist so ähnlich wie mit der Weitsichtigkeit. Ich bin Dir zwanzig Jahre voraus …«
»Neunzehn!«
»Okay, okay: neunzehn.«
Pause.
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Du keine Freunde hast.«
»Das spricht nicht gerade für meinen Curriculum vitae, ich weiß, aber eigentlich reicht mir auch meine kleine Ersatzfamilie … Außerdem habe ich ja noch Arbeitskollegen, Bekannte …«
»Was verstehst Du unter ›Ersatzfamilie‹?«, dabei sieht sie ziemlich beschränkt aus wie ein kurzsichtiger Maulwurf.
»Eine Familie, die im strengen Sinne des Wortes keine ist. Sich aber mehr oder weniger so anfühlt.
»Der Kommissar und seine Frau?
»Ja.«
»Und warum hast Du vorhin gesagt, dass er wie ein Vater für Dich ist und sie nur eine liebevolle Tante?
»Wann ›vorhin‹?«
»Als wir gegessen haben …«
»Ach so … Weil sich die Beziehung zwischen Vater und Sohn einfacher aufbauen lässt als eine Mutter-Sohn-Bindung«, der Ton ist dozierend, und er lässt sich weiter in diese Richtung treiben. »Für einen Jungen oder jungen Mann ist ein Vater in erster Linie ein Vorbild, das er imitiert, und das klappt mit jedem Mann, zu dem der Junge regelmäßigen Kontakt hat und zu dem sich eine affektive Bindung aufbaut. So ein Prozess wechselseitiger Identifikation kann auf vielen Wegen funktionieren. Schau nur wie viele Kinder zwei Männer als Väter akzeptieren, seit die Leute sich alle scheiden lassen: der biologische ebenso wie der
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