Im Namen Ihrer Majestät
kannte. Bisher hatte Carl es mit Erfolg vermieden, sie ihr zu erklären. Sie neigten nämlich dazu zu explodieren, falls man sie eine Zeitlang unbewacht gelassen hatte und dann den Zündschlüssel drehte. Carl grübelte, wie Tessies Wagen vor IBM in Kista geparkt werden konnte, falls sie in diesem Job weitermachte. Sie sollten gemeinsam versuchen, ein möglichst normales Leben zu führen.
Auf dem Gebäude wimmelte es von unbekannten Menschen, die an irgend etwas bauten; das beunruhigte Carl nicht sonderlich, da die allermeisten bei den Streitkräften angestellt waren, die Elektronikexperten zu hundert Prozent.
Es wäre unmöglich gewesen, Tessie tagsüber mit dieser Horde fremder Männer allein zu lassen. Er hatte ihren für seinen Geschmack normalen amerikanischen Einfall gutgeheißen, einen shrink anzustellen, einen Seelenklempner und Quacksalber, vor dessen Arbeit Carl wenig Respekt hatte, was er jedoch sorgfältig zu sagen vermied. Wenn Tessie wie alle Mittelstandsamerikaner an so etwas glaubte, konnte es zumindest nicht schaden. Vorschläge an gemeinsamen therapeutischen Gesprächen teilzunehmen, hatte er erschrocken abgelehnt. Er hatte für den Sommer eine entfernte Verwandte als Au-Pair-Mädchen eingestellt, um Tessie von aller Haushaltsarbeit zu entlasten.
Er hatte erwartet, in ein geisterhaft stilles Haus zu kommen, in der man vielleicht nur das leise Gemurmel des Quacksalbers aus dem Salon hörte.
Statt dessen hörte er dröhnende mexikanische Musik, die ihn sehr an andalusische Melodien erinnerte, und das Geklapper tanzender Absätze und Händeklatschen. Er blieb verblüfft stehen und lauschte an der Tür, während er nachdenklich seinen persönlichen Identifikationscode neben der Tür eingab. Hatte Tessie Unterhaltung angefordert?
Er schlich vorsichtig durch die Halle und blieb hinter der halboffenen Tür zum großen Salon stehen. Einige Augenblicke lang glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Er glaubte, Tessie wäre verrückt geworden. Er beugte sich zur Seite, um durch die offene Tür zu sehen, wer sich sonst noch im Raum befand.
Da saßen der amerikanische Quacksalber, der Psychoanalytiker, wie er sich selbst nannte, sowie das Au-Pair-Mädchen und klatschten mit glühenden Wangen den Takt. Sie mußten es gelernt haben, denn es sah sehr echt aus. Die beiden wirkten nicht im mindesten verrückt, nur über alle Maßen begeistert.
Tessie tanzte, vor Schweiß glänzend. Sie hatte ihr schwarzes Haar gelöst, das ihr in nassen Wellen auf die nackten Schultern fiel. Das Kleid, das sie trug, hatte er noch nie gesehen. Vielleicht hatte sie es auch erst vor kurzem gekauft. Es hatte ein weißes Oberteil und einen schwarzen Rock, der zu den Knien hin enger wurde, um sich darunter wieder zu weiten. Auf einer Seite befand sich ein Schlitz, der bis zum Schenkel hinaufreichte, vermutlich um die Bewegungen zu erleichtern.
Ihre Schuhe hatten niedrige, kräftige Absätze. Mit ihnen schlug sie klappernd den Takt. Er hatte sie noch nie so tanzen sehen. Sie hatte nicht mal andeutungsweise gezeigt, daß sie so etwas beherrschte.
Als wüßte sie, daß er da hinter der Tür stand, wechselte sie plötzlich das Tempo und stellte sich so hin, daß sie ihn sehen konnte. Sie ging langsam mit kleinen Doppelschritten zur Tür hin, während ihre Absätze hart jeden zweiten Takt schlugen. Dann steigerte sie das Tempo jedes Takts; ihr linkes Bein bewegte sich als erstes zu ihm hin. Sie markierte den Tempowechsel jedes Mal mit einem Händeklatschen und ließ die Absätze das Thema wiederholen, als müsse der ganze Körper erst Muskel für Muskel den Takt lernen. Dann steigerte sie die Schläge der Absätze bis zu viermal pro Takt, wurde langsamer, dann wieder schneller und verdoppelte plötzlich das Tempo nochmals. Sie wirbelte in einer furiosen Kaskade aller bisher vorgeführten Tempi und streckte die Hände über den Kopf, während sie sich wieder von Carl entfernte und zur Mitte des Salons tanzte.
Ihm gingen dabei zwei Dinge durch den Kopf. Erstens, daß sie tanzte, als hätte sie nie etwas anderes getan. Zweitens, daß sie nicht verrückt geworden war, sondern daß dies eine Form der Trauer war, die er nicht kannte.
Er machte die Tür auf, trat einen Schritt in den Raum und blieb stehen.
Sie sah ihn, sah ihn aber auch nicht, und unterbrach ihren Tanz nicht. Nach einigem Zögern fiel Carl in das Händeklatschen der beiden anderen ein, während er sie mit einem Kopfnicken begrüßte. Da kam Tessie in geschwungenen Bögen
Weitere Kostenlose Bücher