Im Namen Ihrer Majestät
Sie würde erst gegen Mitternacht bei ihm sein. Er machte seinen Abendspaziergang zum Brompton Oratory, Londons zweitgrößter katholischer Kirche, die etwa eine Viertelstunde zu Fuß von seiner Wohnung entfernt lag.
Tony Gianelli war natürlich Katholik und wie die meisten Mittelklasse-Amerikaner in geordneten Verhältnissen ein mehr oder weniger heuchlerischer, aber fleißiger Gottesdienstbesucher. Luigi hatte diese Gewohnheit übernehmen müssen, nicht nur, weil sie mit der Legende Tony Gianelli übereinstimmte, sondern auch, weil eine große Kirche mit wenigen Besuchern ein ausgezeichneter Treffpunkt war. Sein Kontaktmann beim MI 6 bevorzugte diese Kirche als Treffpunkt, weil man dort, zumindest zu vernünftigen Tageszeiten, immer wieder unauffällige Treffen vereinbaren konnte.
Luigi war Katholik. Er wußte, wie er sich verhalten mußte, als er die Kirche betrat. Er tauchte zwei Finger ins Weihwasser, bekreuzigte sich und deutete eine leichte Verbeugung an. Seine Schritte hallten in dem großen Gewölbe, als er den Mittelgang entlangging, bis er etwa den halben Weg zu der hohen Kuppel erreicht hatte. Dort bog er nach rechts in die Kapelle, die Maria Magdalena geweiht war.
Luigi erschien wie immer pünktlich auf die Sekunde, doch der Mann, der sich Charles Kincaid nannte, saß schon da, anscheinend in tiefe Grübeleien versunken. Niemand sonst war in der Nähe, und in der Kapelle waren sie vor neugierigen Blicken geschützt.
»Guten Abend, Mr. Gianelli. Sie haben sicher viel zu tun, wie ich hoffe«, begrüßte ihn sein Kontaktmann forsch und für Luigis Geschmack mit zu lauter Stimme.
»Findest du nicht, daß wir mit Rücksicht auf die Kollegialität unseres Verhältnisses damit aufhören könnten, einander Mister zu nennen?« seufzte Luigi, nachdem er sich gesetzt hatte.
»Mir ist das durchaus recht«, erwiderte sein Kontaktmann.
Es fiel Luigi schwer, Sympathie für seinen Kollegen zu empfinden. Dieser wirkte wie eine Parodie: perfekter Anzug, Regenschirm und die Schuhe in den richtigen Farben zum richtigen Zeitpunkt, jederzeit die korrekten britischen Füllwörter, alles, was dazugehörte. Sie schienen ungefähr in demselben Alter zu sein, was es Luigi überdies schwer machte, den anderen als Vorgesetzten zu empfinden, obwohl dessen Attitüde sehr deutlich darauf angelegt war, so zu erscheinen.
»Nun ja, seit dem letzten Mal ist nicht viel passiert«, begann Luigi angestrengt. »Ich habe mit meinen Kollegen draußen in Addlestone noch keinen privaten Umgang entwickeln können, aber andererseits bin ich ja auch noch nicht lange hier. So etwas wie eine Annäherung hat es bisher nicht gegeben. Ich kann allerdings behaupten, daß es einen neuen Aspekt gibt, was Lady Carmen betrifft.«
»Ach so, wir beschäftigen uns immer noch mit Lady Carmen, wie es scheint?« murmelte der MI-6-Mann mißgelaunt.
»Wollten wir nicht versuchen, diesen leidenschaftlichen Teil des Umgangs ein wenig einzuschränken und uns lieber auf etwas Nützlicheres konzentrieren, findest du nicht auch?«
»Nun«, entgegnete Luigi mürrisch, »was Lady Carmens Nützlichkeit angeht, fällt es mir grundsätzlich wirklich schwer, mir einen Umgang vorzustellen, der mit der gleichen Geschwindigkeit so viele indirekte Kontakte ergeben könnte. Es ist nun mal passiert. Ich bin ihr Liebhaber, das hat sich einfach so ergeben.«
»Mein lieber Kollege, in unserer Branche pflegt man eher selten zu behaupten, daß sich einfach etwas ergibt. Was uns betrifft, würden wir es lieber sehen, du würdest den Versuch machen, deine Reize ein wenig mehr zu verteilen.«
»Wer ist wir?« fauchte Luigi.
»Wir beim Dienst, natürlich«, erwiderte der andere leichthin und blickte nachdenklich an die Decke.
»Soso. Es gibt eine Sache, die ich gern mit Hilfe des Dienstes untersucht oder erklärt haben möchte, was besagte Dame betrifft«, fuhr Luigi fort. Der andere antwortete nicht, sondern gab ihm nur mit der Hand ein Zeichen fortzufahren.
»Es ist nämlich so«, fuhr Luigi fort und holte tief Luft, »daß sie in diesem Job Kenntnisse besitzt, die alles übertreffen, was ich erwartet habe, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich dachte, sie hätte aufgrund ihrer hohen und respektablen Heirat eine Sinekure bekommen.«
»Ja, das ist unleugbar ein naheliegender Gedanke«, erwiderte der MI-6-Mann beherrscht. »Es dürfte jedoch schwer sein, sich vorzustellen, daß die sicher sehr ehrbare Ehefrau des früheren Verteidigungsministers uns in das Mysterium der
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