Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Namen Ihrer Majestät

Im Namen Ihrer Majestät

Titel: Im Namen Ihrer Majestät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Es gab auch schottischen Whisky, japanisches Spielzeug und große Mengen schwarzer Lederjacken. Jurij Tschiwartschew erklärte leicht mißbilligend, all dieses Leder sei Schmuggelgut aus China; die Preise seien dort viel niedriger als in Rußland, und diese verfluchten Chinesen hätten schnell gelernt, aus Ziegenleder Lederjacken zusammenzunähen, die westlich aussähen.
    Vor der Markthalle standen Obststände in mehreren Reihen. Ein Stück weiter hockten kleinwüchsige alte Frauen mit Kopftüchern und boten selbstgezogene Produkte an, Mohrrüben, Rote Bete, Weißkohl und Äpfel. Auf einem Kiosk prangte in großen Buchstaben das Wort GIRLS. Auf Carls erstaunte Frage, ob man in Sibirien im Einklang mit den schocktherapeutischen Idealen auch Pornographie eingeführt habe, grunzte Jurij Tschiwartschew nur übellaunig.
    Sie gingen an Pyramiden aus Äpfeln vorbei. Ein Kilo Äpfel kostete etwa einen halben Tageslohn, ob es nun rote, grüne oder geflammte rotgrüne Äpfel waren. Ein kleiner Haufen leicht angefaulter gelber Äpfel kostete jedoch vier ganze Tageslöhne. Carl blieb verblüfft vor dem Preisschild stehen, beugte sich zu der alten Dame hinunter und fragte so höflich, wie er vermochte.
    »Madame, verzeihen Sie mir eine Frage«, begann er vorsichtig. »Ich bin Ausländer und habe es vielleicht nicht richtig verstanden, aber weshalb kosten diese Äpfel so sehr viel mehr als die Äpfel nebenan?«
    »Weil diese Äpfel kein x-beliebiges Obst sind. Sie kommen aus Frankreich, Dummkopf«, erwiderte die alte Dame säuerlich.
    Carl bedankte sich höflich und erstaunt für die Auskunft und ging dann mit Jurij Tschiwartschew langsam in der heißen sibirischen Sommersonne weiter, während er über die Lebensgeschichte der französischen Äpfel nachgrübelte, unter anderem über ihre siebentausend Kilometer lange Reise.
    »Weißt du was, Jurij«, sagte er, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht hatte. »Wenn hier in Barnaul tatsächlich eine Nachfrage nach französischen Äpfeln herrscht, dürfte es noch Hoffnung für Sibirien geben, denke ich.« Jurij Tschiwartschew mußte lächeln.
    *
    Luigi war zufällig eine U-Bahn früher angekommen als berechnet und schlenderte jetzt in der Waterloo Station herum, bis sein Zug am Bahnsteig einlief.
    Er ging zu der Gruppe von Demonstranten, die er schon mehrere Tage hintereinander gesehen hatte, ohne Zeit für ihre Botschaft zu haben. Jetzt entdeckte er, daß sie gegen Pelzmäntel demonstrierten. Ihr heftiger und unbeugsamer Widerstand gegen Pelzmäntel wurde damit begründet, daß die rechtmäßigen Eigentümer der Pelze schrecklich litten, wenn sie in Fallen gefangen oder in zu engen Käfigen aufgezogen würden. Luigi hatte in dieser Frage keine durchdachte Meinung. Den Flugblättern zufolge seien siebzig Prozent der Einwohner Großbritanniens Gegner von Pelzmänteln, und der Pelzhandel sei im Aussterben begriffen. Doch jetzt gehe es darum, das noch verbleibende Drittel zu erledigen.
    Luigi war leicht unbehaglich zumute. Dabei respektierte er durchaus die Argumente der Demonstranten. Die meisten schienen in seinem Alter zu sein und stritten glühend und lautstark für ihre Sache. Diese Zusammenkunft erschien ihm irgendwie krank und auf eine eigentümliche Weise sehr britisch. Es war dieses Britische, mit dem er sich vertraut machen mußte. Luigi stellte sich vor, daß es in diesem Land leichter sein mußte, die Öffentlichkeit für ein halbertränktes Kätzchen zu mobilisieren als für ausgepeitschte, gefolterte und ermordete nichtweiße Menschen.
    Das Sexleben in der Öffentlichkeit bekannter Menschen und das Leiden unbekannter russischer Wölfe waren in diesem Land Themen, die alles andere überschatteten. Das mußte er lernen und akzeptieren.
    Als er sich endlich im Zug nach Addlestone befand, erkannte Luigi, daß seine Unlustgefühle nicht das geringste mit diesen fanatischen Pelzgegnern zu tun hatten. Das britische System hatte noch weit kompliziertere moralische Muster, die sein Leben in Großbritannien betrafen. Lady Carmen – es amüsierte ihn, sie noch immer so zu nennen – würde an diesem Vormittag vor mehreren Abteilungen der EDV-Sektion einen Vortrag halten. Sie hatten sich inzwischen schon so oft geliebt, daß man das Ganze wohl ein Verhältnis nennen mußte, und hatten sich beide soviel Mühe gegeben, alle Treffen zu planen und zeitlich zu koordinieren, daß Luigi sich eingestehen mußte, daß es an eine Passion zu erinnern begann. Er dachte ständig an sie.
    Er hatte

Weitere Kostenlose Bücher