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Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman

Titel: Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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geschwungenen dichten, dunklen Brauen. Ihre Haut war blass, graue Stellen, die aussahen wie abheilende blaue Flecken, bedeckten die Wangen. Die Nase war ebenmäßig und scharf geschnitten. Von spanischer oder französischer Abstammung, würde er sagen. Sie hatte, wie er sich erinnerte, graue Augen mit dunklen Wimpern. Mit zehn Kilo mehr auf den Rippen wäre sie eine attraktive Frau. Als solche musste jemand sie kennengelernt und mit ihr ihre Zwillingsjungs gezeugt haben. Und dessentwegen lebte sie jetzt allein, was nicht immer der Fall gewesen war.
    Ihre Lider zuckten; er musste an junge Vögel denken, die zum ersten Mal mit ihren Flügeln schlugen. Vor seinem Schlafzimmerfenster hatte ein Blauhäher ein Nest gebaut, und jedes Frühjahr hatten er und Antoine den jungen Vögeln beim Schlüpfen und Heranwachsen zugesehen. Sie hatten darauf geachtet, den Erwachsenenvogel nicht zu verschrecken, damit er die Jungen nicht verließ. Noch jetzt konnte er fast den Atem seines Bruders auf seinem Unterarm spüren, wenn sie zusammen am Fenster gestanden hatten.
    Adele stöhnte abermals, und Raymond beugte sich zu ihr. »Adele?«
    Sie sah ihn an und hob eine Hand, um die Augen vor dem einfallenden Sonnenlicht zu schützen. Sie versuchte sich aufzusetzen, war aber zu schwach dazu.
    »Woran erinnern Sie sich?«, fragte er, während er ihr die Hand anbot, damit sie sich hochziehen konnte. Sie schwang die nackten Füße zu Boden und schien nicht zu bemerken, dass sie ein fremdes Nachthemd trug.
    »An nichts.« Ihr Blick schweifte durch die Zelle. Als sie das linke Handgelenk hob und die Handschelle klirrte, schrie sie entsetzt auf.
    »Sie waren vergangene Nacht auf der Section Line Road am Beaver Creek.« Sie runzelte die Stirn und versuchte seine Worte einzuordnen. »Erinnern Sie sich, einen Mann auf der Straße gesehen zu haben?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich an das Unwetter.« Panik huschte über ihre Miene. »Ich wollte bei meinen Kindern nachsehen …«
    »Ihren Kindern?«, unterbrach er sie.
    »Wollte mich vergewissern, dass sie vom Hochwasser nicht aus dem Grab geschwemmt werden.« Kurz verlor sich ihr Blick im Leeren, doch als sie ihn wieder ansah, lag etwas Herausforderndes in ihren Augen. »Dann ist der Mond hinter einer Wolke verschwunden, und ich hab mich verirrt. Ich bin hingefallen, mir ist übel geworden, und ich hab nicht mehr gewusst, wo ich hinsollte.« Sie besah sich die Schnitte und Abschürfungen an ihren Händen. »Als der Mond wieder auftauchte, war er ganz rot. Überall war rotes Licht, so hell, dass man alles sehen konnte.«
    Ihre Worte berührten Raymond wie die kalten Finger eines Toten. »Letzte Nacht war Vollmond, aber er hatte keinen roten Hof. Sie haben vielleicht geträumt.«
    Verwirrung breitete sich auf ihrer Miene aus. Sie war jünger, als er ursprünglich angenommen hatte. Dreiundzwanzig, höchstens. »Ich hab bei meinen Kindern gekniet, und das Licht um uns herum war rot, Gewitterwolken sind vorbeigetrieben. Ich hab zum Mond gesehen, der war so groß, so blutrot. Der Jagdmond, hat mir mein Bruder beigebracht.« Etwas Gehetztes trat in ihren Blick, ihre Gesichtszüge änderten sich. Sie verengte die Augen, hob das Kinn an, und ihre Lippen wurden zu einer dünnen Linie. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme tief und rau. Sie zitterte am ganzen Körper. »Weggelaufen.«
    »Wovor weggelaufen?« Er bemühte sich, so ungezwungen wie möglich zu klingen. Ihre Worte ließen ihn frösteln, obwohl er nicht an den loup-garou glaubte.
    »Vor …« Ein Blutschwall erbrach sich aus ihrer Nase, spritzte in ihren Schoß, ergoss sich über ihre Hände, als wäre ihr Kopf explodiert. Sie verdrehte die Augen, während fortwährend das Blut herausströmte, dann fiel sie nach hinten aufs Bett.

4
     
     

     
     
     
     

     
    it Adele auf den Armen stürzte Raymond an Pinkney vorbei, der gerade zur Tür hereinwollte, in jeder Hand eine Kaffeetasse, die klappernd gegen die Untertassen schlugen.
    »Sag dem Sheriff, ich hab sie zu Madame Louiselle gebracht. Der Doc sagt, er kann ihr nicht helfen. Sie liegt im Sterben.«
    »Großer Gott, so viel Blut.« Pinkney trat von einem Fuß auf den anderen. »Großer Gott, Allmächtiger, sie kann ja gar kein Blut mehr haben. Mein Gott, Mr. Raymond. Sie muss doch tot sein.«
    Raymond rannte zu seinem Wagen und setzte sie auf den Beifahrersitz. »Vergiss nicht, es dem Sheriff auszurichten.« Er glitt hinters Steuer; Schlamm spritzte auf, als er davonfuhr. Adele

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