Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
meisten Amerikaner bekommen kaum noch genügend Zucker zum Kuchenbacken.« Seine Konversationsversuche waren bislang auf taube Ohren gestoßen. Marguerite war tief in Gedanken versunken.
»Und müssen auch nicht den Gestank der Zuckerrohrfelder ertragen, die den ganzen Winter über abgebrannt werden, nicht wahr?«
Er spürte ihren Zorn, der, wie er wusste, sich nicht gegen ihn richtete. Ihr Mann wurde wie ein Stück totes Fleisch untersucht. Eine Autopsie. Was war aus der Welt nur geworden? Nach allem, was zu hören war, musste doch jedem Trottel klar sein, dass Henri Bastion angegriffen und getötet worden war. Völlig unnötig, den Leichnam weiter zu entweihen und seine Witwe im Ungewissen zu lassen, was von den Überresten noch bestattet werden konnte.
»Kann ich Ihnen bei irgendwelchen Vorbereitungen helfen?« Er stellte seine leere Tasse auf das Tablett. »Der Tod ist keine Strafe Gottes, Marguerite. Wie alle müssen sterben, wenn wir zu unserem Herrn zurückkehren wollen.«
»Verzeihen Sie.« Sie atmete hörbar ein. »Wenn sein Leichnam nach Hause kommt, werden wir unverzüglich die Totenwache abhalten. Die Beerdigung wird dann unmittelbar darauf erfolgen. Ich will, dass alles so schnell wie möglich vorbei ist, den Kindern zuliebe.«
»Wie nehmen die Kinder es auf?« Er hatte bislang von ihnen keinen Ton gehört.
»Sie sind in ihrer Trauer zu Bett gegangen. Sie haben ihren Papa geliebt. Jetzt werden sie ohne Vater aufwachsen müssen.« Sie zog den Schal höher, an ihrer Hüfte klimperte ein Schlüsselbund.
Der Priester war gekommen, um Trost zu spenden, Marguerite aber saß regungslos auf der Stuhlkante, ihre Haltung war vollkommen, ihr Kleid makellos. Sie hatte sich hergerichtet, als wollte sie in der Stadt ausgehen. Das geflochtene Haar war zu einer kastanienbraunen Krone hochgesteckt, die in ihrer ganzen Pracht schimmerte. Selbst nach drei Kindern war Marguerite noch immer eine schöne Frau, die sich vom harten Leben hier nicht hatte unterkriegen lassen.
»Mrs. LaRoche bereitet ein Essen zu, das heute Abend gebracht werden wird.«
»Das ist sehr nett, aber nicht notwendig. Bernadette Matthews hat für uns gekocht.« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich gehe davon aus, dass Bernadette in nächster Zeit nicht mehr kommen wird. Ihre Schwester …« Sie verstummte, den Blick auf ihren Schoß gerichtet.
Er schluckte. »Sie haben einen schrecklichen Verlust erlitten. Es ist die Pflicht der Gemeinschaft, Ihnen beizustehen.«
»Das ist sehr freundlich.«
»Brauchen Sie irgendwelche Hilfe bei Henris Papieren, in juristischer Hinsicht? Gibt es irgendetwas, bei dem ich Ihnen behilflich sein kann?« Der Priester stand auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich stehe jederzeit zur Verfügung.«
»Adele muss den Verstand verloren haben. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie sich wie ein wildes Tier aufgeführt hat. Sie ist des Mordes an Henri angeklagt?«
»Man nimmt an, dass sie nicht überleben wird.«
Marguerite ging ans Fenster und sah hinaus auf die fruchtbaren Felder. »Vielleicht ist es ein Segen für sie. Für uns alle. Ich meine, wir ersparen uns damit … ein Gerichtsverfahren.« Sie streckte den Rücken durch und drehte sich zu ihm um. »Ich will die Einzelheiten nicht erfahren.«
»Adele soll sehr krank sein, es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie den heutigen Tag überlebt.« Er ging zu ihr. »Sie werden in den kommenden Tagen viele Entscheidungen treffen müssen, Marguerite. Sie sind nicht allein. Die Gemeinde ist für Sie da.«
»Danke, Vater Michael. Ich bin müde und muss mich um die Kinder kümmern.«
Der Priester sah zu den Zuckerrohrreihen, die im leichten Wind schwankten, die Blütenstände, die die Strahlen der frühmorgendlichen Sonne einfingen. Marguerite hatte ihren Mann verloren, aber sie würde nicht am Hungertuch nagen. Henri hatte ihr viel Geld und den Reichtum des Landes hinterlassen. »Die Damen werden mit dem Essen schon unterwegs sein. Wenn Sie mich brauchen, ob bei Tag oder Nacht, dann rufen Sie mich einfach an.«
5
ie Mittagssonne schien warm auf Florence’ Schultern. Das von ihr gewählte engtaillierte Kleid aus sattem burgunderroten Crêpe de Chine betonte ihren Hüftschwung, während sie die Main Street entlangging. Durch den Krieg waren die meisten Dinge des Alltags rationiert oder überhaupt nicht erhältlich, das Einkaufen aber lieferte ihr wenigstens einen Vorwand, das Haus zu verlassen. Außerdem gehörte sie zu den
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