Im Netz der Meister 2
unter der Dusche, während sie schon mal beide Rechner startete und sich in beide Accounts einloggte. Das war so abgemacht: dass jeder das Passwort des anderen wusste und dass beide mit beiden Nicks online sein durften. Die Zeiten, in der Simone unkontrolliert fast Tag und Nacht gechattet und sich in ihrem Wahn auf ein Blind Date mit ihrem eigenen Mann eingelassen hatte, waren ihr noch in schrecklicher Erinnerung. Nie wieder sollte so etwas passieren. Sie wollten gemeinsam SM leben, das hatten sie beschlossen. Geheimnisse durften nicht mehr vorkommen.
Nun saßen sie in Jogginganzügen in ihrem gemütlichen Chat-Zimmer, rauchten, tranken Wein, aßen Käse-Bütterchen und Oliven mit Zitronencremefüllung, hörten »The Very Best of Sting & Police« und kommunizierten virtuell. Jetzt waren sie nicht mehr Gerald und Simone Sänger, jetzt waren sie Rule und Chatterley.
Jemand namens »Puderluder« hatte Rule angeschrieben, er las die Nachricht laut vor: »Hi Rule, tolles Profil! Suche einen Dom oder ein Paar. Wenn ihr Lust auf einen korpulenten TV-Sklaven habt, würde ich mich freuen, wenn ich euch dienen dürfte. Ich bin fett, mobil, belastbar und tabulos.«
»Zeig mal das Profil.« Sie sah es sich kurz an. »150 Kilo, nein danke! Nix Tabuloses mit dem Puderluder!«
Sie suchten die Onlinelisten nach Geschlecht und Neigungen im Postleitzahlbereich von Köln, Bonn und Koblenz ab und amüsierten sich über Profilnamen von »royal chicken«, »Prinzickchen« oder »netizen cane«, fanden aber auch die üblichen, die es in jeder Community zu geben scheint: »Masomaus«, »Latexschwein«, »Sklavensau«, »Dreilochstute«.
»Anna-Karen-Ina ist online, pass auf, gleich bekommst du wieder eine elegante Message von der schönen Dame.« Gerald nickte: »Ach, die Siezerin, ja, kann sein, dass sie mir schreibt.«
»Anna-Karen-Ina« und Simone waren ins virtuelle Gespräch gekommen, als sie sich in einer Diskussion über BDSM-Literatur austauschten. Ihr Nickname und der ihres verlinkten Partners »Tolstoi« hatten Simone aufmerksam gemacht. Natürlich wusste im Forum niemand, dass bei ihr als Buchhändlerin Tolstoi und Anna Karenina sofort abrufbar waren. Simone plauderte mit Anna eine Weile in persönlichen Nachrichten über dies und das, über Fetisch-Online-Shops, über SM und über ihre Partner.
Anna und Tolstoi waren beide geschieden und seit vier Jahren ein Paar. Sie lebte mit ihren Kindern in Leverkusen, er kam aus Aachen. Alle zwei Wochen trafen die beiden sich in Köln im Hotel, einmal im Jahr fuhren sie gemeinsam zehn Tage nach Italien. Anna bezeichnete sich als »personenbezogen devot« und »mindermasochistisch«. Zu Tolstoi habe sie eine Beziehung, die nach besonderen Regeln verlaufe, über die sie aber nicht reden wolle. Nachdem Gerald den Mailwechsel gelesen und ein Foto von Anna gesehen hatte, begann er einen virtuellen Flirt mit ihr. Mit ihrer hellen Haut, den kurzen weißblonden Haaren und der knabenhaften Figur war sie optisch das Gegenteil der dunkelhaarigen und weiblich proportionierten Simone.
Simone las die Korrespondenz der beiden mit, aber das wusste Anna nicht. Der Briefwechsel zwischen ihr und Simone schlief irgendwann ein. Gerald und Simone amüsierten sich sehr darüber, dass Anna alle Frauen, auch im Forum, duzte und alle Männer siezte. Simone sagte: »Ob sie ihre Liebhaber im Bett auch siezt? Stell dir das doch mal vor: Herr Rule, würden Sie bitte mal ein bisschen fester hauen? Oder: Meister Rule, könnten Sie hier bitte mal ein bisschen fummeln?«
Simone und Gerald hatten lange darüber geredet, ob es in ihrer neuen Beziehung Eifersucht geben würde, ob es möglich sei, die eigenen Tabus zu brechen und sich auf Beziehungen zu dritt oder viert einzulassen. »Solange ich dabei bin, wenn du einen anderen Mann an dich ranlässt, kann ich es glaub ich aushalten«, sagte Gerald. Das sei im Swingerclub zum Beispiel an der Tagesordnung, und es gebe viele glückliche Paare, die mit solchen »Sachen« frischen Wind in ihre Beziehungen brachten. Simone dachte dasselbe von sich: Solange ein Flirt virtuell war, konnte nichts passieren. Sie ahnte nicht, was mit Anna-Karen-Ina noch alles passieren würde.
Zunächst jedoch lasen Gerald und Simone vergnügt Annas Mails. Die beiden schrieben sich täglich. Anna erzählte von sich in ausschweifenden, blumigen Sätzen: »... und als ich so durch die weite virtuelle Welt spazierte, da spürte ich es in mir, das Besondere, das Eine, das, was ich schenken mag,
Weitere Kostenlose Bücher