Im Netz der Meister 2
Persönlichkeit.«
»Ja, das verstehe ich sehr gut, aber ich kann die Rollen, die Authentizität der Positionen, nicht nachvollziehen, wenn sie innerhalb einer Beziehung wechseln.«
»Kann es sein, dass du mit deinem Mann eine Beziehung nach dem Muster ›das Mädchen und der Mentor‘ führst? Viele Frauen ticken so. Ich meine, dass der Dom sich ständig als irgendwie besser, größer, weiter, immer überlegen beweisen muss, damit du dich unterwerfen kannst?«
Simone dachte lange über diese Sätze nach. War das so? Zelebrierte sie eine Art Kopfkino, eine Romantisierung, die mit dem ganzen Menschen Gerald nicht mehr viel zu tun hatte? Suchte sie immer noch den Guru, den Ersatzpapi, den großen Zampano, den Ritter auf dem weißen Pferd, an dessen Schulter sie sich lehnen konnte und der ihr einfach sagte, wo es lang geht?
»Nein, Kalle, so ist das nicht. Wir sind seit fast zwanzig Jahren zusammen und haben SM erst vor kurzem für uns entdeckt. Das heißt, ich war schon ein bisschen unterwegs, ein Jahr oder so, und Gerald und ich fanden uns auf dieser Ebene erst später, aber das ist eine andere Geschichte. Er ist ein wunderbarer Mann, kümmert sich um mich, akzeptiert meine Neigung und tut alles, um sie zu erfüllen und zu befriedigen.«
»Du erwähntest mal, dass du auch schon getoppt hast. Wie gefielst du dir als Dommse?«
Simone lachte, als sie die Antwort schrieb: »Es war ziemlich geil. Macht ist geil. Führung ist geil. Ein Mann, der kriecht, ist geil. Je-mand, der ohne Murren alles tut, was ich verlange, das ist eine feine Sache für mein Kopfkino. Aber: Körperlich befriedigend ist es für mich nicht. Jedenfalls war es das nicht mit dem Mann, den ich damals dominiert habe.«
»Du erzählst mir von dieser Session in solchen Sätzen und behauptest, kein Switcher zu sein?«
War sie Switcher? Immerhin hatte sie immer wieder sadistische Anwandlungen und würde gern mal wieder einen Mann quälen und demütigen. Nein, das war nur so eine Laune, keine zwingende Neigung, der sie unbedingt nachgehen wollte oder musste. Sie hatte ab und zu Lust dazu, mehr nicht. War sie denn wirklich eine Sub? Als devot oder submissiv sah sie sich selbst nicht. Als rein masochistisch aber auch nicht. Provozierte sie Gerald nicht jedes Mal, um ihn zu zwingen, sie zu dominieren? Nachdem sie damals ihre Absprachen getroffen hatten, waren gefährliche, exzessive Stunden, wie die in der schwarzen Wohnung, nicht mehr möglich. Reduzierte sich ihre Ehe auf die Neigungen, das Spiel? War da noch Familienleben, Gemeinsamkeit, gab es noch Platz und Raum für anderes als SM?
Nein. Sie wollte nicht darüber nachdenken, nicht jetzt, nicht heute, nicht schon wieder.
Simone unterhielt sich weiter mit Kalle, der freimütig erzählte: »Also, bei Ute und mir ist das so: Der O-Ring ist nicht nur Symbol, sondern auch Signal. Je nachdem, an welcher Hand er gerade ist, ist die Rolle klar. Aber meistens brauchen wir das nicht. Wir kennen uns so gut, dass wir schnell merken, wie der andere drauf ist und dementsprechend reagieren. Meistens ist den ganzen Tag über schon klar, wer welche Rolle einnimmt, bevor es zur Session kommt.«
»Das ist vielleicht ein seltener Glücksfall, den ihr da habt, deine Ute und du. Weshalb sollte man nicht beide Welten genießen, wenn man’s kann? Im Idealfall sogar mit ein und derselben Partnerin.«
Ich kann das so nicht , dachte Simone. In einer Beziehung mal dominant sein und mal devot, mal sadistisch und mal maso, das ist dann wohl der Gipfel. Vielleicht hat das mit Können nichts zu tun. Vielleicht will ich es auch gar nicht. Vielleicht muss sich nicht immer einer unterwerfen. Vielleicht kann man sich für ein Spiel auch dem anderen einfach schenken. Hat es vielleicht nichts mit Macht und Unterwerfung zu tun? Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Mein Gott, hören sie denn nie auf, diese Fragen? Jetzt bin ich schon so lange unterwegs und weiß noch immer nichts.
Simone und Kalle verstanden sich sehr gut, und sie verabredeten sich mit ihren Partnern beim Chattertreffen. Simone freute sich und war gespannt: Putzlitzer würde da sein, auch Anna-Karen-Ina und Tolstoi hatten zugesagt.
Praxis Dr. Armin Wenzel
Chiffre W 23 06 62/ aktuelle soziale Situation
Frau S. erzählt, sie lebe von ihrem Mann getrennt, die beiden Töchter (17 und 19) seien bei ihm geblieben. Ihr Geschäft, eine kleine Buchhandlung am Chlodwigplatz, habe sie schließen müssen. Sie lebe in einer kleinen Wohnung (»Wohnklo«) von Hartz IV.
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