Im Netz der Meister (German Edition)
Geschäft. Sofort schrieb sie an Mark: »Ich bin weiß Gott niemand, der auf der dranghaften Suche nach der nächsten Session irgendeine Rolle spielt. Eine Rolle, die nicht echt ist, die nur als Mittel zum Zweck dient, den Akt zu erreichen. Ich will überhaupt keine Rolle spielen - ich möchte diese Hingabe ehrlich und wahrhaftig. Alles andere ist Lüge und führt letztendlich vom Ziel weg anstatt dorthin.
Ich weiß, was du von mir erwartest, Mark. Demut würde ich »bedingungsloses lernen wollen« nennen. Nun, wenn dies der einzige Weg ist, dann werde ich lernen, ihn zu gehen.
Aber ich werde mir dennoch selbst treu bleiben.
Ich weiß genau, dass du all das längst wusstest...«
Dann wechselte sie das Foto auf ihrer Homepage wieder gegen ein unverfängliches Bild bestrumpfter Beine aus, denn es war ihr siedendheiß eingefallen, dass Karin sicherlich die Besucherinnen auf Marks Seite »blind« überprüfen würde. Von ihr auf Marks Seite erkannt zu werden, wollte sie nicht riskieren.
Karin kam pünktlich um neun.
»Worüber willst du reden?«
»Der schnippische Ton ist fehl am Platz, Karin. Du bist hier angestellt, weil du arbeiten sollst, und nicht um deine Liebschaften zu pflegen und den ganzen Tag zu chatten. Ich habe im Verlauf nachgesehen, wie lange du in den letzten Tagen gechattet hast. Hätte ich nachvollziehen können, wie lange du gearbeitet hast, wäre das schneller gegangen. Hast du nichts anderes mehr im Kopf als Männer und Internet?«
Karin sah sie mit ihren wasserblauen Augen kalt an und schlug betont lässig die Beine übereinander. Sie trug feuerrote Pumps mit mindestens zwölf Zentimeter hohen Absätzen. Simone schluckte, als sie die roten Schuhe sah. Als kleines Mädchen hatte sie sich immer rote Schuhe gewünscht. Warum hatte sie als erwachsene Frau eigentlich nie welche besessen?
»Meine Liebe. Hermann Hesse schrieb einmal sinngemäß, dass wir an anderen stets das am meisten verabscheuen, was wir an uns selbst hassen.«
»Das geht zu weit, Karin. Du kannst ab sofort zu Hause bleiben. Ich brauche dich nicht mehr, du arbeitest sowieso nicht. Deinen restlichen Aushilfslohn werde ich dir noch heute überweisen.«
Sie vermied es, Karin ins Gesicht zu sehen, stattdessen ging sie an ein Regal und begann, wahllos irgendwelche Bücher herauszuziehen und auf dem Ladentisch zu stapeln.
Karin stand auf und zischte: »Ich hoffe, dass du weißt, was du tust, ma chérie.«
Mit weit ausholenden Schritten und den wie immer leicht hängenden Schultern verließ sie den kleinen Buchladen.
Simone verdrängte das Hesse-Zitat und dessen zweifellosen Wahrheitsgehalt, als sie sich bei Love.Letters einklickte und nachsah, ob Mark ihre Mail schon beantwortet hatte.
Er hatte die elektronische Post noch nicht gelesen, Simone erkannte es an einem kleinen Symbol in ihrem Ausgangsordner.
Weiter zu surfen, hatte sie keine Lust, also begann sie halbherzig zu arbeiten. Sie wischte die Regale aus, sortierte neue Bücher ein, heftete Rechnungen ab und rief beim Arbeitsamt an. Sie brauchte Ersatz für Karin. Wer sollte sonst den Laden schmeißen, wenn sie auf Reisen war und Dates hatte? Daran hatte sie nämlich bei ihrer vorschnellen Kündigung nicht gedacht.
Nach drei endlosen Stunden hatte Mark ihre Mail beantwortet. Ein paar Zeilen nur, aber Simone las sie mit klopfendem Herzen. Mark hatte tagsüber nur wenig Zeit, seine Praxis war gut besucht und er schien in seinem Beruf aufzugehen.
Sein Ton war unmissverständlich: »Sorge dafür, dass wir heute Abend telefonieren können. Ich erwarte deinen Anruf um Punkt zwanzig Uhr.«
Es folgte seine Handynummer, die Simone unter dem Namen »Susi Markant« in ihrer Kundenkartei notierte.
Sie war froh, als eine Frau namens Adele Fuchsberg anrief und fragte, ob sie sich wegen der Aushilfsposition am Nachmittag vorstellen dürfe.
Sie durfte, denn das würde Simone ablenken und helfen, das Warten bis zu ihrem Telefonat mit Mark zu verkürzen.
Adele Fuchsberg stellte sich am selben Tag vor. Sie war eine etwa 55-jährige Frau mit schulterlangen roten Haaren und schwarz lackierten Fingernägeln. Ihre burschikose Kleidung wirkte nachlässig, aber Simone übersah es.
Ihre Fachkenntnis stand außer Frage: Adele hatte vor Jahren ein Buch geschrieben und in ihrem eigenen Verlag veröffentlicht, weil die renommierten Häuser ihr Werk nicht publizieren wollten.
»Ist schon ein Problem, dass die großen Verlage keine neuen Autoren mehr aufnehmen. Habe damals mein Geschäft
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