Im Netz der Meister (German Edition)
unkompliziertes Verhältnis führen könnte, von dem niemand etwas mitkriegt? Warum denke ich den ganzen Tag an Sex – und warum habe ich mit Gerald keine Lust dazu? Warum erzähle ich Gerald nichts von meiner neu entdeckten erotischen Passion – oder führe ihn zumindest in die Richtung? Vielleicht ginge es ja auch mit uns beiden?
Simone musste lachen, als sie sich Gerald in Leder und als Dom vorstellte. Nein, das war absurd. Ihr Mann war zärtlich, sanft und schnell mit allem fertig.
Und irgendwie wollte sie diese Erlebnisse auch gar nicht in ihrer Ehe haben. Warum eigentlich nicht? War es das Fremde, die Begegnungen mit fremden Männern, die das Ganze so prickeln ließen?
War es Jagdfieber oder Torschlusspanik?
Als sie ihren Buchladen betrat, dachte sie nicht weiter nach. Sie sah Karin vor dem Computer sitzen und blitzschnell die Love.Letters-Seite wegklicken, als sie hereinkam. Kalte Wut stieg in Simone auf.
»Du bist morgen früh um neun Uhr hier. Wir haben zu reden, Karin. Für heute hast du Feierabend«, sagte Simone in unmissverständlichem Ton.
Karin warf trotzig den Kopf zurück, dabei klimperten ihre riesigen Ohrringe. Sie riss ihre Handtasche vom Schreibtisch, presste sie vor den Bauch und stöckelte wortlos hinaus.
Sofort nahm Simone den Platz am Rechner ein und sah im Verlauf nach, wo Karin sich virtuell rumgetrieben hatte. Sie hatte den ganzen Tag offensichtlich nichts anderes getan, als zu chatten.
Simone surfte blind auf die Seite von Your Top. Sie hatte Recht. Sie hatte es geahnt, und sie hatte Recht. Der Name Gräfin Mariza stand ganz oben auf seiner Besucherliste. Und der letzte Eintrag in seinem Gästebuch war von ihr und lautete: »Wie Sie es wünschen, Sire.«
Obwohl Simone den Mann hinter dem Nick überhaupt nicht kannte und bereits eine Abfuhr von ihm bekommen hatte, war sie wütend, dass Karin mit ihm offensichtlich Kontakt hatte. Simone überlegte nicht lange. Sie registrierte sich neu bei Love.Letters, loggte sich einfach unter einem neuen Namen ein und bastelte sich eine neue Homepage, von der sie glaubte, sie würde Your Top gefallen.
Inkognito nannte sie sich und sie achtete bei der Formulierung ihrer Personenbeschreibung besonders auf einen devoten, fast unterwürfigen Ton.
Und sie setzte ein nur leicht bearbeitetes schwarz-weißes Porträtfoto auf ihre Seite, auf der ihr Gesicht deutlich zu erkennen war. An Vorsicht wegen ihrer Familie und ihrer Kunden dachte Simone nicht mehr.
Es dauerte nicht lange, bis Your Top auf ihr neues Anschreiben unter dem neuen Namen reagierte.
Simone schrieb nicht so wie sonst, spontan und locker, sondern so, wie sie glaubte, dass er es lesen wollte. Mit Erfolg, denn es entwickelte sich eine zwar etwas hölzerne, aber rege Korrespondenz.
Your Top hieß in Wirklichkeit Mark, war 44 Jahre alt und hatte sich als Internist mit eigener Praxis in der Nähe von Bielefeld niedergelassen. Er war geschieden, seine siebenjährige Tochter lebte bei seiner Ex-Frau. Er war erst seit kurzem bei Love.Letters und dort auf der Suche nach einer Frau, die ihm absolute Demut beweisen sollte. Das schrieb er Simone schon nach kurzer Zeit, mit der Aufforderung, ihm ihre Definition von Demut und den Grund ihres Daseins bei Love.Letters zu erklären.
Simone antwortete nicht sofort, sie loggte sich mit der Erklärung aus, sich um die Familie kümmern zu müssen. Dann fuhr sie den Rechner herunter, löschte die Lichter, schloss ihren Laden ab und fuhr nach Hause.
Sie wusste, dass ihr wieder eine schlaflose Nacht bevorstand.
Demut, was war das überhaupt? Und: Konnte ein Mann sie einfach so fordern? War Demut nicht etwas, das man sich verdiente? Verdiente ein Mensch überhaupt die Demut eines anderen? Simone überlegte, wann und ob sie je Demut empfunden hatte.
Ja, beim Anblick der Rubensbilder in der Münchner Pinakothek, hatte sie ein tiefes Gefühl gehabt, das Demut nahe kam. Demut als Verehrung des Höheren? War das die Erklärung? Sich der Grenzen seiner Persönlichkeit bewusst sein, war das Demut? Wenn es das war, was hatte Demut dann in der Erotik zu suchen? Grenzen überschreiten wollen, das Credo der Sadomasochisten, die Forderung, die sie schon so oft gelesen hatte, kam das alles der Demut nahe?
Aber Demut zeigen in der Erotik, einem Fremden gegenüber? Undenkbar.
Stundenlang wälzte sie sich hin und her, um genau die Formulierungen zu finden, von denen sie glaubte, dass sie Mark beeindrucken würden. Simone war am nächsten Morgen schon um acht Uhr im
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