Im Netz der Meister (German Edition)
Garderobe hängten.
Simone stand in der Küchentür, das Glas Prosecco in der Linken, eine Zigarette in der rechten Hand und sagte mit ernstem Gesicht: »Fröhliche Weihnachten.« Sofort waren die drei still, sahen sie an, und den Ausdruck in ihren Gesichtern konnte Simone nicht deuten. Die Mädchen schauten irgendwie traurig, trotz Heiligabend und guter Laune, Gerald wirkte verschlossen und auf eine leise, subtile Art feindselig. Später wusste Simone nicht mehr, wie sie diesen Heiligen Abend überstanden hatte.
Das Essen war verkrampft gewesen, ein richtiges Gespräch hatte nicht aufkommen wollen. Die Mädchen freuten sich riesig über den Computer und hockten bis weit nach Mitternacht fasziniert davor. Simone und Gerald saßen am Esszimmertisch, hörten zum vierten Mal die Robbie Williams CD und tranken schweigend die zweite Flasche Prosecco.
Simone hatte sich über sein Geschenk wirklich gefreut, den neuen Bademantel konnte sie gut gebrauchen. Sie würde ihn am zweiten Feiertag mit nach Norderney nehmen.
Zuerst hatte sie gespannt gewartet, wann er das Notebook aus dem Schrank im Schlafzimmer holen und es ihr überreichen würde. Nach einer Stunde wartete sie nicht mehr. Sie würde schon herausfinden, wofür er es brauchte. Und wenn er heimlich im Internet surfen sollte, dann würde sie es erfahren.
Die Tage auf Norderney schleppten sich zäh dahin. Jeden Morgen nach dem Frühstück zog Simone sich warm an und marschierte zum Strand. Stundenlang wanderte sie am Meer entlang, manchmal zehn Kilometer weit, bis hin zum alten Wrack am anderen Ende der Insel.
Der Strand war menschenleer, ganz anders als im Sommer, wenn Strandkörbe und Sonnenschirme die Parzellen der Touristen markierten. Simone liebte das raue Klima besonders jetzt im Winter, wenn sie nur Himmel, Meer und Dünen sah, gegen den Wind ankämpfte und das Gefühl hatte, er könnte Ordnung in ihre Gedanken pusten.
Warum fühlte sie sich in ihrer eigenen Familie fremd? Warum ergab sich kein Gespräch mit Gerald? Warum kam sie nicht an die Mädchen heran? Wollte sie es überhaupt?
Warum war nicht alles so wie immer? Hatten sie sich entfremdet? Den Faden verloren? Wann? Warum?
Warum lag in Geralds Kleiderschrank ein Notebook, warum erzählte er ihr nicht davon und warum fragte sie ihn nicht einfach danach?
Simone hatte das Gefühl, dass die Frage nach dem Warum, nach einem von vielen »Warums«, seit etlichen Monaten ihr Leben bestimmte.
Die Wanderungen waren das Schönste in diesem Urlaub. Die andere Zeit, die sie mit Gerald und den Kindern in ihrer Ferienwohnung verbrachte, verging in verkrampfter Atmosphäre und mit stundenlangen Fernsehorgien.
Auch die abendlichen Besuche im Restaurant waren keine wirkliche Abwechslung, denn irgendwie gingen sich alle auf die Nerven und waren mit dem stillen gemeinsamen Übereinkommen, eine heile Familie zu spielen, überfordert.
Am Silvesterabend saßen sie vor dem Fernseher, niemand hatte Lust zu Gesellschaftsspielen, so wie es eigentlich Tradition war. Als Simone und Gerald um zwölf Uhr auf das neue Jahr anstießen, hoffte sie inständig, dass es ein glückliches neues Jahr werden würde.
Daran glauben konnte sie nicht.
Es war spät, gegen zwei, die Mädchen schliefen bereits. Sie saßen im Wohnzimmer der Ferienwohnung bei einem letzten Glas Sekt. Vereinzelt zischten und heulten draußen noch Silvesterraketen, Betrunkene grölten irgendwo, es regnete und die Tropfen prasselten an die Scheiben.
»Hast du Vorsätze fürs neue Jahr?«, fragte Gerald.
Simone überlegte lange. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein. Was soll ich mir schon vornehmen ...«
Sie beendete den Satz nicht, stand auf und ging ins Bett. Wenn das ein Versuch war, ein Grundsatzgespräch über ihre Beziehung zu führen, so konnte und wollte sie es nicht annehmen. Nicht jetzt, nicht hier, nicht nach diesen Tagen, in denen sie so dicht aufeinander gehockt hatten und sich so fern gewesen waren wie nie zuvor. Sie begann das neue Jahr weinend, zusammengerollt im Bett, und ohne sich erklären zu können, warum sie so unglücklich war.
Simone war froh, als Ferien und Feiertage zu Ende waren und sie ihren Buchladen wieder öffnen konnte.
Viel elektronische Post hatte sich angesammelt, sie hatte in den Tagen auf Norderney nicht ein einziges Mal online sein können. Neben Neujahrsgrüßen und Weihnachtswünschen von ihren zahlreichen virtuellen Freunden hatte Arno sich gemeldet. Er fragte sehr interessiert nach, wie sich ihre
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