Im Netz der Meister (German Edition)
immer noch auf dem Boden dieser bizarren Wohnung, in der Rule sie gefangen hielt. Wenn Adrenalin eine Droge war, dann hatte sie jetzt eine Überdosis.
Sie versuchte, ruhig in dieser Stille zu liegen. Er sollte nicht bemerken, dass sie zu sich gekommen war.
Wie lange schon? Wie lange war sie hier?
Mein Gott, es war Abend, Gerald würde sich Sorgen machen. Bestimmt hatte er längst im Laden angerufen. Scheiße, Scheiße, warum hatte sie nirgends hinterlassen, wo sie war? Sie fing wieder an zu weinen, ihre Nase lief, und sie zog sie schniefend hoch. Sie verschluckte sich an Rotz, Blut und Tränen und begann zu husten und zu würgen.
Die Tür flog auf und er stand vor ihr.
Riesig.
Ihr Herz hämmerte jetzt, laut, so laut, dass ihr ganzer Körper bei jedem Pulsschlag bebte.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, warum hatte sie ihr Handy ausmachen müssen? Gerald hatte sicher schon etliche Male versucht, sie zu erreichen. Ob er die Polizei gerufen hatte? Er musste die Polizei rufen, es konnte ihr nur was passiert sein. Er würde sie retten, er würde kommen, sie hier rausholen, irgendwie.
Niemand würde sie hier finden. Auch Gerald nicht. Gerade Gerald nicht.
Simone winselte lauter. Ihr tat alles weh, jeder Muskel, jeder Knochen, jeder Quadratzentimeter Haut. Sie hatte Durst und sie musste zur Toilette.
Was würde mit ihr passieren?
Wollte Rule sie umbringen? War er ein Verrückter? Sie dachte daran, wie liebevoll und zärtlich er vorhin ihre Blessuren versorgt hatte. Das war so irre, so verrückt. Das passte doch alles nicht zusammen.
Rule hatte die Vorhänge wieder zugezogen und kam auf sie zu. Sein schwerer Stiefel verharrte vor ihrem Gesicht.
»Bitte«, flüsterte Simone, »Bitte! Ich muss zur Toilette. Ich habe Durst. Ich will nach Hause.«
Rule hockte sich neben sie. Vorsichtig hob er sie hoch und stellte sie auf die Füße. Simone schwankte, aber Rule hielt sie fest. Er schob sie langsam vor sich her. Schritt für Schritt, mit zitternden Knien und dieser unendlichen Angst in jedem Knochen ließ sie sich ins Bad bringen.
Er schaltete kein Licht ein. Im Dunkeln setzte sich Simone aufs Klo. Rule stand neben ihr.
Es war ihr egal, alles war ihr egal. Sie wollte nur raus hier. Sie ließ es einfach laufen. Als sie sich den Hintern abputzen wollte, fiel ihr das Papier aus den zitternden Händen. Er bückte sich, hob es auf und wischte sie sauber.
Er brachte sie zurück in das große Zimmer und setzte sie an die Wand. Dankbar lehnte sie sich an und entspannte ihren Rücken.
Rule ging hinaus und kam mit einer Flasche Evian zurück. Sie trank gierig und lange, als er ihr die Flasche an die Lippen setzte. Das kühle Wasser rann ihr aus den Mundwinkeln, am Hals hinab und über ihre nackten Brüste, und es vermischte sich dort mit ihren Tränen.
Nach langen Minuten, vielleicht waren es auch Stunden, nahm er sie wieder hoch und schleppte sie wieder unter die Ketten. Diesmal schnaufte er dabei. Sie wehrte sich nicht, als er sie erneut aufhängte, ihre schlaffen Gelenke in die Ledermanschetten steckte, klick. Klick. Viermal.
Er verließ das Zimmer.
Kopf oder Kragen
Simone wartete vier Wochen, bevor sie sich das Date mit Cornelius zutraute. Die anderen Bewerber hatte sie nach einiger Zeit unbeachtet gelassen, es waren einfach zu viele geworden.
Bei Cornelius wusste sie inzwischen genau, wie er empfand, wovon er träumte und was ihn erregte. Sie kannte seine Sehnsüchte, seine Fantasien und seine Grenzen, denn seine abendlichen Mails kamen pünktlich und unaufgefordert, und sie enthielten seine geheimsten Gedanken. Er vertraute ihr total. Sie war sich nicht sicher, ob es an ihr und ihrer Art lag, dass er sich so öffnete, oder ob er sich jeder Frau unterwerfen würde, die sich auf diese Weise mit ihm beschäftigte und die nur die richtigen Knöpfe zu drücken verstand. Simone wollte es herauskriegen.
Sie empfand es als faszinierend, wie sich das Verhältnis zu Cornelius entwickelte: Sie sprach völlig normal mit ihm und verzichtete auf den Befehle bellenden Tonfall, den sie auf etlichen Domina-Seiten im Netz gelesen hatte. Dennoch tat Cornelius alles, was sie von ihm verlangte.
Eine Woche vor dem geplanten Treffen fragte sie ihn, ob er eine Digitalkamera besäße, die auch das Datum eines Fotos anzeigte. Cornelius bejahte das.
»Du wirst morgen einen Lippenstift kaufen, und zwar einen in einem kräftigen Rotton.«
»Jawohl, verehrte Herrin.«
»Du wirst den Lippenstift nehmen und damit das Wort ‚Sklave’ auf
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