Im Netz der Meister (German Edition)
liebte blaue Augen. Diese waren klar und reglos. Oder schienen sie nur so, weil die Maske jegliche Mimik verbarg? Kommunizierte er mit ihr? Sagte der Blick etwas? Sie verstand ihn nicht, Scheiße, Scheiße, sie verstand ihn nicht. Wer war das, der hier vor ihr stand?
Sie dachte wieder an Mark, an diesen Mann, den sie zu lieben geglaubt hatte und der sie stundenlang in seiner Wohnung gequält hatte. Danach hatte sie nie wieder etwas mit BDSM zu tun haben wollen ... und doch war danach so unendlich viel passiert.
Sie versuchte, sich an Marks Statur, an seinen Gang und die Form seiner Augen zu erinnern. Nein, dieser Mann hier war schmaler, nicht so kräftig wie Mark, wenn auch etwa genauso groß. Aber seine Augen, sie erinnerten Simone – an wen, an wen, an wen?
Sie spürte Panik aufkommen und bemühte sich, wieder ruhig zu atmen. Das hatte sie gelernt in den Sessions: ihren Atem zu kontrollieren, um den Schmerz aushalten zu können. Und um zu genießen, wenn ihre Haut glühte, sie nicht mehr denken konnte, nur noch spürte ...
Sie hatte die Augen wieder geschlossen und nicht gesehen, dass Rule einen langen, dünnen Stock aus dem Schaft seines Stiefels gezogen hatte. Sie schrie, als er ihr mit dem Rohrstock auf die Brüste schlug. Immer wieder, zwanzig Mal, rechts, links, rechts, links, dreißig Mal, sie zählte nicht wirklich mit, sie heulte bei jedem Schlag laut auf, bis sie zum Schreien keine Kraft mehr hatte und still wurde.
Er war ganz nah an ihrem Gesicht, als wollte er lauschen, ob sie noch atmete.
Der Geruch! Sie konnte ihn riechen, intensiv, vertraut. Was war das? Sie kannte den Geruch, sie kannte ihn, er roch wie ... Sie wusste es nicht, verdammt, sie wusste es nicht.
Alles oder nichts
Stattlich siehst du aus, groß, graue Haare, dunkle Augen hinter der Brille. Ein Grandseigneur mit exzellenten Manieren und dunklem Kaschmirmantel. Du lächelst anerkennend, als ich auf dich zukomme.
Ich weiß, dass ich deinen Erwartungen entspreche: enges Kostüm mit kurzem Rock, hochhackige Lederstiefel, schwarzer wehender Mantel. Meine Haare trage ich offen, meine Augen sind dunkel, mein Mund rot geschminkt, so, wie du es gewünscht hast. Du wolltest die Lady, du sollst sie bekommen. Und auch die Frau hinter der Fassade.
Ich bin nervös. Ein langer Tag liegt hinter mir, der Abschied von Gerald und den Kindern heute Morgen, die lange Bahnfahrt, die Lesung und eine langweilige Diskussionsrunde beim Literaturfestival.
Mein Gepäck habe ich bei meiner Ankunft im Schließfach deponiert, dann mit dem Taxi zum Festival, Smalltalk, viel hören, nichts verstehen, viel reden, nichts sagen. Immer waren meine Gedanken bei diesem Moment.
Ein leichter Kuss auf den Mund, du bietest mir deinen Arm, nimmst mein Gepäck und ich hake mich unter. Ich kann dich gut riechen, und ich mag, dass du so groß bist.
Im Café trinken wir Grappa und Espresso, Aufwärmphase, wir plaudern belanglos.
Ich weiß, dass du mir gleich diese eine Frage stellen wirst. Wenn ich sie mit »ja« beantworte, übergebe ich dir meinen Alltag, meine übliche Dominanz, meinen Körper und vielleicht für einige Stunden meine Seele. So ist es abgesprochen.
Ich sehe die Vorfreude in deinen Augen, als ich »ja« sage.
»Schön«, sagst du mit deiner tiefen, festen Stimme.
Ich mag dieses Gefühl, gewollt zu werden, ich mag es so sehr.
Wir fahren zum Frankfurter Hof. Die Halle des Hotels haut mich fast um: alles in Weiß und Cremefarben, alles glänzt, ist leise, aber lebendig, Eleganz wie im Film.
Die Suite ist sehr vornehm, du hast für mich ein eigenes Zimmer gebucht. Es gibt eine Verbindungstür zwischen deinem und meinem Zimmer, jeder hat ein eigenes Bad.
»Du wirst dich irgendwann zurückziehen wollen. Und müssen«, sagst du.
Wir trinken Champagner, er steht neben den roten Rosen an meinem Bett. Ein angemessener Rahmen für unser Spiel, ich habe es irgendwie nicht anders erwartet. Es ist ein Zeichen deiner Lebensart und deiner Wertschätzung.
»In zehn Minuten klopfst du an meine Tür. Du wirst nichts tragen außer diesen Pumps.«
Du zeigst auf das Bett: Dort finde ich traumhafte schwarze Schuhe. Sergio Rossi, ich kenne die Marke. Du siehst die Freude darüber in meinem Gesicht und lächelst.
Ich mache mich frisch, schlüpfe in die zwölf Zentimeter hohen Lackschuhe. Ich habe noch Zeit, zünde mir eine Zigarette an, sitze nackt im Sessel, die Uhr in der Hand. Ich habe keine Angst vor dir, ich weiß, dass alles, was du tun wirst, meiner Lust
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