Im Netz der Sinnlichkeit
stand wie ein Schattenriss vor dem tief hängenden Mond, dann warf sie den Kopf zurück und stimmte in den Gesang ein. Noch nie hatte Walker etwas ähnlich Schönes gehört, es klang so lebendig, so wild, als hätte sich die dünne Schicht der Zivilisation aufgelöst und nur die innerste Seele zurückgelassen – nur zu gerne hätte er mit eingestimmt.
Erst nachdem das Heulen verklungen war, als eine Stille eingesetzt hatte, die so dicht und geballt war, dass er begriff, dass Lara weit mehr als er in ihr vernahm, setzte er sich zu ihr, legte ihr die Hand auf den Rücken, auf das dichte Fell, das so herrlich weich war. »Irgendetwas ist doch nicht in Ordnung, und du solltest es mir erzählen.«
Sie legte den Kopf auf eine Art schief, die er verstand, obwohl er kein Wolf war.
»Ja, das ist ein Befehl.« Er ertrug es einfach nicht, wenn sie unglücklich war. »Du hast mich gebeten, mich nicht vor dir zu verschließen. Nun bitte ich dich darum, es auch nicht vor mir zu tun.« Niemand anders konnte ihn so tief verletzen wie sie, konnte so großen Schaden in ihm anrichten, doch am schlimmsten traf es ihn, wenn sie ihm die Liebe vorenthielt, die ein Teil seines Lebens geworden war.
Die Wölfin sah fort … dann spürte er einen Luftzug unter den Fingern, sah den Funkenregen. Er erstarrte, sein Herz schlug schnell. Das große Vertrauen machte ihn fassungslos, er konnte kaum glauben, wie viel er ihr bedeutete.
Niemals werde ich dich enttäuschen.
Das hatte er sich schon geschworen, als er sie in Besitz genommen hatte.
Einen Herzschlag … oder auch ein ganzes Jahrhundert später lag seine Hand auf kühler Haut, und eine Frau mit fuchsbraunen Augen kniete vor ihm, nahm sein Gesicht in beide Hände. »Es hat nichts mit uns zu tun. Du bist mein Ein und Alles.«
Etwas in ihm zerbrach, er hätte nicht sagen können, was es war, spürte nur einen Kloß im Hals. »Komm her«, sagte er mit rauer Stimme.
Auf seinem Schoß streichelte er sie, bis sie sich zusammenrollte und die Hand auf sein Herz legte. Obwohl er wusste, dass sie Kälte gut vertragen konnte, zog er sein Hemd aus und reichte es ihr.
Sie wies es nicht zurück, legte den Kopf an seine Schulter. Er strich über die seidige Haut der Beine, und sie seufzte wohlig. »Niemand wird mich je davon überzeugen können, dass es einen schöneren Ort auf Erden gibt.«
Walker konnte ihr nicht widersprechen. Die nächtliche Sierra war von fast schmerzhafter Schönheit, doch alle Aufmerksamkeit galt seiner Gefährtin, er wollte wissen, was sie dazu gebracht hatte, ihn auf diese ungewöhnliche Art anzuknurren. Ihm fiel nur eine mögliche Erklärung ein.
5
»Handelt es sich um Alice?« Von Unbekannten war die Wissenschaftlerin vor über hundert Jahren in einen Kälteschlaf versetzt worden, und nun lag die Menschenfrau im Koma auf der Krankenstation der Wölfe. Sie kannte Geheimnisse, die Sienna bei der Kontrolle ihrer Fähigkeiten helfen konnten, doch niemand konnte sagen, ob sie je wider das Bewusstsein erlangen würde und wie klar ihr Kopf dann sein würde.
Lara ballte die Faust, und ein Schauer lief durch ihren Körper. »Ganz egal, was ich auch versuche, ich kann sie einfach nicht erreichen.« Das war nicht nur frustrierend, sondern auch schmerzhaft. »Sie darf nicht sterben, ohne wieder gelebt zu haben, das hat sie nicht verdient. Heute habe ich festgestellt, dass man sie in meinem Alter in diesen Zustand versetzt hat – sie konnte ihre Forschungen nicht beenden, konnte weder Liebe finden noch Kinder haben. Das alles haben ihr diese Mistkerle genommen.« Tränen rollten über Laras Wangen. »Ich möchte ihr so gerne das Leben zurückgeben, doch ich kann es nicht.«
Er zog sie noch näher an sich. »Was sie Alice angetan haben, war mit großen Risiken behaftet, es war ein Experiment – schon allein, dass du sie am Leben erhältst, ist ein Beweis für deine Fähigkeiten.«
»Aber vernünftige Überlegungen helfen mir nicht, meine Wölfin will sie einfach nur heilen.«
Gegen diese Gefühle kam er nicht an. Für eine solch starke Frau wie Lara, die sich mit ganzem Herzen dem Heilen verschrieben hatte, musste es ein furchtbarer Schlag sein. Wahrscheinlich dachte sie fast ununterbrochen an Alice, und obwohl es sie so sehr bedrückte, konnte er nichts dagegen tun, denn der Drang, sich um andere zu kümmern, war Teil ihrer Persönlichkeit, die er weder ändern konnte noch wollte.
»Erzähl mir alles«, sagte er, hielt sie fest und hörte einfach nur zu.
Sehr viel später,
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