Im Netz der Sinnlichkeit
als sie wieder in der Höhle waren und zusammen im Bett lagen, küsste sie ihn auf den Hals. »Danke fürs Zuhören.« Ein weiterer Kuss, streichelnde Finger, weiche Schenkel auf seinen Beinen. »Ich werde da sein, wann immer du etwas Ähnliches brauchst.«
Noch nie hatte er seine Alltagssorgen mit jemandem geteilt – er war der Kopf der Familie, zu ihm kamen sie alle, wenn sie Rat brauchten, und er hatte nichts dagegen. Die Rolle passte zu ihm. Doch in Laras Leben nahm er diese Rolle nicht ein und wollte sie auch gar nicht einnehmen.
»Morgen treffe ich mich mit Sienna«, sagte er, und es war, als würde er unwiderruflich einen neuen Weg einschlagen mit der Frau, die ihn mit all seinen Verletzungen genommen und ihm dadurch gezeigt hatte, dass in ihm viel mehr steckte, als er je geglaubt hatte. »Ich mache mir Sorgen um sie.«
Er hatte nichts von dem vergessen, was Lara und er besprochen hatten, als er am frühen Nachmittag mit Sienna auf einer kleinen Lichtung saß. Sechs Monate nach ihrer Ankunft bei den Wölfen hatten sie den abgeschiedenen Ort entdeckt, und im Laufe der Zeit war es der inoffizielle Treffpunkt für Familiengespräche geworden.
Jemand klopfte höflich telepathisch an.
Walker meldete sich und hörte Judds Stimme.
Bin spät dran. Komme in einer Viertelstunde.
Walker antwortete und sagte dann laut: »Es überrascht mich, dass Hawke nicht bei dir ist, gerade wenn es um dieses Thema geht.« Da Sienna gerade erst dem Tod ins Auge geblickt hatte, war der Leitwolf besonders beschützend.
Nachdenklich band Sienna ihren Zopf fester. »Er kann die Höhle im Augenblick nicht verlassen, denn viele sind noch beunruhigt.«
Hawkes Anwesenheit gab den Rudelgefährten offensichtlich ein Gefühl von Sicherheit. »Ihr habt bestimmt nicht viel Zeit für euch allein.« Das bereitete Walker Sorgen, denn sowohl Sienna als auch der Leitwolf brauchten eine Gelegenheit, um sich entspannen, einmal richtig durchatmen zu können.
Sienna sah ihn an, er brauchte nicht laut zu sagen, was ihn bewegte. »Ist schon gut. Hawke ist überzeugt, dass sich alles in höchstens einer Woche wieder beruhigt hat.«
Hawke erfasste instinktiv die Stimmung im Rudel. Walker nickte. »Und wie geht es dir?«
»Alles im Lot.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Jedenfalls soweit ich es beurteilen kann.«
Er kannte den Grund für die vorsichtige Antwort. Ihr Leben lang hatte Sienna die Kraft gefürchtet, die in ihr steckte – erst allmählich würde sich die Erkenntnis durchsetzen, dass sie nun in einem gewissen Maß kontrolliert werden konnte. Er betrachtete das geistige Netzwerk, das sie miteinander verband, und konzentrierte sich auf Siennas Geist. Blutrot und goldfarben strömte die wunderschöne, tödliche Kraft über ein Band zu Walker und floss in die Spirale in seinem Kopf.
Vor der Schlacht hatte niemand gewusst, wozu er ein solches Gebilde entwickelt hatte. Nun war klar, dass es als Filter für Siennas Kraft diente und ihr die zerstörerischen Elemente nahm. »Kein Anzeichen einer gefährlichen Ballung.« Von tödlicher Synergie, die sie zu einer tickenden Zeitbombe von katastrophalem Ausmaß machte.
»Aber ich habe mich doch erst vor Kurzem vollkommen entladen«, sagte Sienna so leise, dass er sie nur mit äußerster Konzentration verstand – ihre Augen waren nachtschwarz, weil sie versuchte, ihre Gefühle im Zaum zu halten. »Nach meiner Schätzung können wir frühestens sechs Wochen nach einer solchen Entladung eine richtige Analyse machen.«
»Einverstanden.«
»Und ich muss das kalte Feuer auch langfristig beobachten.«
»Sicher.« Er fing den überraschten Blick des Mädchens auf, das für ihn ebenso eine Tochter war wie Marlee. »Jeder Mediale mit starken Kräften muss das tun – Judd kennt immer den genauen Stand seiner telekinetischen Kräfte.« Sein Bruder musste sich schon lange nicht mehr bewusst dabei anstrengen, es klappte quasi automatisch. »Das verringert das Risiko, dass er jemanden unabsichtlich verletzt. Und PS-Mediale müssen ihre psychometrischen Kräfte täglich überprüfen, um nicht in den Erinnerungen und Gefühlen anderer zu ertrinken.« Diese Kategorie hatte verschiedene Fähigkeiten, doch der Grundstock war die Möglichkeit, »Echos von Erinnerungen« aus Objekten zu holen, selbst aus Türklinken oder Knöpfen.
Walker schaltete auf telepathische Kommunikation um.
Telepathen halten jeden Augenblick ein Schild gegen äußere Einflüsse aufrecht – das hast du doch schon als Kind
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