Im Netz des Spinnenmanns: Thriller (German Edition)
darauf, stehenzubleiben und nachzusehen, ob der Mann immer noch auf der Couch lag. Sie lief auf die Glasschiebetür zu, wo ihr nichts anderes übrig blieb, als das Mädchen abzusetzen. Schließlich brauchte sie zwei freie Hände, um die Tür zu entriegeln und zu öffnen. Als sie die Kleine wieder aufhob und ins Freie trat, blendete sie das grelle Sonnenlicht. Die Äste einer mächtigen Eiche streckten sich nach ihr aus. Außer den Ästen des Baumes konnte sie nichts sehen.
Zumindest nicht sofort. Es dauerte einen Moment, bevor Lizzy ihn erblickte.
Er stand am Zaun und wartete.
Das kleine Mädchen in ihren Armen musste ihn ebenfalls gesehen haben, denn aus ihrem Mund drangen die seltsamsten Laute.
Kapitel 3
Sacramento, Kalifornien
Freitag, 12. Februar 2010, 18:06 Uhr
Lizzy stand in vorderster Reihe in der Mehrzweckhalle der Ridgeview-Grundschule und zeigte mit dem Finger auf das junge Mädchen, das ganz vorne saß. »Heather, was solltest du als Erstes tun, wenn du das Gefühl hast, dass dich jemand entführen will?«
»Andere Leute auf mich aufmerksam machen.«
»Gut. Und wie macht man so was am besten, Vicki?«
»Indem man schreit und um sich tritt.«
»Genau.« Acht Kinder hatten sich zu Lizzys Vortrag am heutigen Abend angemeldet, alles Mädchen unter achtzehn Jahren. Aber nur sechs davon waren tatsächlich erschienen. Trotzdem nicht schlecht für einen Freitagabend. Lizzy brachte Kindern und Jugendlichen seit zehn Jahren bei, wie man sich vor Gefahren schützte, und hatte schon schlechtere Anwesenheitszahlen erlebt, einschließlich eines Termins, zu dem überhaupt niemand kam. Es war unschwer zu erkennen, wer innerhalb der letzten Stunde aufgepasst hatte und wer nicht. »Na, wie wär’s mit dir, Nicole? Komm doch bitte mal nach vorne und zeig uns, was du tun würdest, wenn jemand versucht, dich gegen deinen Willen mitzunehmen.«
Alle warteten ruhig, bis Nicole vorne stand.
Lizzy deutete mit dem Kinn auf Bob Stuckey, den lokalen Sheriff, dessen Tochter an diesem Abend ebenfalls anwesend war. Er hatte das Klassenzimmer zehn Minuten zuvor betreten. Zusammen mit ein paar anderen Eltern wartete er geduldig darauf, dass der Kurs zu Ende ging und sie mit ihren Kindern nach Hause gehen konnten.
»Mr. Stuckey, würde es Ihnen etwas ausmachen, mir einen Augenblick zu helfen?«
Er zögerte zunächst, doch dann zuckte er mit den Schultern und begab sich in die Mitte des Raums, wo Nicole mit steifen Armen stand.
Lizzy gab Bob Stuckey mit einer Geste zu verstehen, er solle mit der Demonstration anfangen, indem er seinen massiven Arm um Nicole schlang. Obwohl dem Sheriff sichtlich und verständlicherweise unwohl dabei war, seinen Arm um den Hals des Mädchens zu legen, befolgte er ihre Anweisung.
»Okay, Nicole. Was würdest du tun, wenn dich jemand packt, so wie es Sheriff Stuckey gerade macht, und dir sagt, du sollst in sein Auto einsteigen?«
Nicole schluckte. »Ich weiß nicht.« Sie unternahm einen halbherzigen Versuch, sich aus der Umklammerung zu befreien, mit der der Sheriff sie festhielt, aber es gelang ihr nicht. »Ich pack’ das nicht«, sagte Nicole. »Ich will nicht mal dran denken. Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll.« Tränen traten ihr in die Augen. »Lassen Sie mich bitte los.«
Lizzy sah Bob an und zog eine Augenbraue hoch – eine Geste, mit der sie dem Sheriff zu verstehen gab, dass die Übung beendet war.
Er ließ Nicole sofort los.
Das Mädchen hatte offensichtlich noch ein paar Übungsstunden nötig, bevor man sie noch einmal als Versuchskaninchen benutzen konnte. Lizzy deutete auf die hinterste Reihe im Raum, wo ein Mädchen so weit wie nur möglich von den anderen entfernt saß. Sie war höchstens sechzehn oder siebzehn, aber ihrefünf Piercings – je eins an den Ohren und den Augenbrauen, und eins an der Nase – ließen sie älter und abgebrühter wirken. Das schwarze Haar hatte sie sich zu einer Igelfrisur schneiden lassen und trotz der frostigen Februarkälte trug sie ein dunkelblaues Top mit Spaghettiträgern, einen Minirock und ausgelatschte Turnschuhe ohne Schnürsenkel. Eine Engelstätowierung auf ihrem Schlüsselbein stach auf ihrer hellen Haut hervor.
Autsch.
»Was meinst du dazu?«, fragte Lizzy das Mädchen. »Was würdest du tun, wenn dich jemand packt?«
Das Mädchen kaute auf ihrem Kaugummi herum, formte daraus eine riesige Blase und brachte es fertig, diese wieder in ihrem Mund verschwinden zu lassen, ohne dass das klebrige Zeug im Gesicht hängen
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