Im Pfahlbau
Vogelmist reich gedüngten Boden gedieh ein üppiger Nesselbestand. Schlaff hing das vom Frost versehrte Laub an den zähen Stengeln. Eva begann, Nesseln auszurupfen, und zwar nur die frisch abgestorbenen. Die sonst so wehrhaften Brennhaare der Blätter hatten ihr Gift verloren. Die Fasern unter der Rinde waren auffallend zäh, und Eva freute sich, daß ihre Vermutung, von den Nesseln brauchbare Fasern gewinnen zu können, richtig war. Nun war sie nicht mehr nur auf den niederen Bergflachs angewiesen.
Daheim legte sie die Nesselbündel unter ihre Pfahlhütte ins Wasser. Später sollten sie gedörrt werden, dann ließ sich nämlich die spröde Rinde leichter entfernen. Kurz darauf machte sie eine unangenehme Entdeckung. Als sie sich aus Peters Fellvorräten etwas aussuchen wollte, fiel ihr auf, daß in dem halbdunklen Raum irgendwelche kleinen Tiere ihr Unwesen trieben. Sie hörte ihr Trippeln, sah an den Fellen da und dort die Spuren winziger Zähne, bekam aber keines der Geschöpfe zu Gesicht. Auch die in einer Ecke der Vorratskammer aufgehäuften Kastanien waren angenagt. Eva war nicht gewillt, ihre Vorräte Dieben zu überlassen, die wohl über das Eis vom Lande herübergewandert sein mochten, und beschloß, Fallen aufzurichten.
Fünf Steinfallen stellte sie auf und legte als Köder benagte Kastanien und Fleischbrocken hinein. Am nächsten Morgen sah sie mit Genugtuung, daß drei Fallsteine niedergegangen waren. Unter zweien lagen flachgedrückt fingerlange Spitzmäuse, deren oben schwarzes, unten gelbliches Fell entzückend weich war. In der dritten hatte sich eine fast dreimal so große, stumpfschnäuzige Wasserratte gefangen. Auch sie war fast schwarz und glich in der Gestalt den Schneemäusen, die Eva aus Ahnls Zeiten her kannte. Gekocht erwies sich das Fleisch der Wasserratte als zart und schmackhaft.
Peter war tagsüber nie zu Hause. Er hatte es eilig, vom Grund des Klammbachsees, dem die Kälte in den hochgelegenen Gebieten die Wasserzufuhr unterbunden hatte, das angeschwemmte Holz zu sammeln und in Stößen auf der Triftleiten zu stapeln, bevor Tauwetter einsetzte und das Wasser wieder einfließen ließ. Länger als eine Woche arbeitete er ungestört. Beim Anblick der Holzstöße fühlte er sich reich. Holz bedeutete Wärme und Nahrung für das Werkfeuer.
Am Abend eines Tages, an dem Peter zwei Wildgänse und einen Keiler erlegt hatte, saß er nach dem Essen, müßig vor sich hinträumend, vor seinem Feuer. Mit einer Astgabel schob er angekohlte Holzstücke in die Flammen; da tauchte wie aus grauer Vorzeit das Bild des Ähnls in seiner Erinnerung auf. Er sah den rüstigen Alten an seinem Kohlenmeiler bauen. Peter zuckte wie aufgeschreckt zusammen. Aus dem Träumen geriet er in scharfes Nachdenken. Holzkohle müßte mehr Hitze geben als Holz! Wozu hätten sich denn die Leute in der großen Welt draußen vom Ähnl die Holzkohle brennen lassen? Peter fühlte sich stark genug, einen Meiler zu bauen. Hätte ihn nicht am nächsten Morgen dichtes Schneegestöber gehindert, er wäre sogleich an die Arbeit gegangen. Ungern blieb er daheim und nutzte den Tag, um das Fleisch des Wildschweins zum Räuchern vorzubereiten und die Gedärme zu spannen. Dann nahm er sich die Harnblase des Tieres vor. Er brauchte einen neuen Verschluß für seine Lichtluke. Vorsichtig führte er in die Harnröhre einen Schilfhalm ein und blies mit vollen Backen. Die Blase füllte sich mit Luft, wurde rund und prall, so prall, daß es ihn reizte, sie mit beiden Händen zu drücken. Fauchend strömte die Luft durch das herabhängende Schilfrohr in die glimmenden Kohlen des niedergebrannten Feuers und ließ es funkensprühend auflodern.
Spielerisch richtete er das Rohr bald da, bald dort in die Glut, und immer zeigte sich die gleiche Wirkung. So hatte er absichtslos ein Gebläse erfunden, das, in seiner Kleinheit ein Spielzeug, in großer Ausführung aber einen mächtigen Luftstrom ins Werkfeuer senden mochte. Zwei Gebläse, abwechselnd tätig, konnten das Feuer ununterbrochen anfachen.
Peter nähte an zwei enthaarten, gut eingefetteten Rehfellen alle Löcher bis auf einen von einem Fußfell gebildeten Schlauch zu und dichtete die Nähte mit Pech ab. Jeden derbeiden Blasebälge hatte er vor dem Vernähen auf einen schweren Holzrost geheftet und auf der Oberseite mit einem kleinen Rost versehen. Dieser Rost war fest verbunden mit einer Lederkappe, in die er einen Fuß schieben konnte. Auf der Unterseite des Felles, das hohl auf dem
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