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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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ihm wie eine sich ballende Faust, und nach vorne hin wurde er enger, sodass der Surfer sich ducken musste, ihr blieb nicht viel Zeit, denn ihre Arme hatten keine Kraft mehr, na denn, es war ein gutes Leben gewesen. Und jetzt wurde er von der Welle verschlungen, tja, das war’s dann wohl, doch das Surfbrett, das ganz in ihrer Nähe wieder hochkam, war an seinem Knöchel befestigt, und es gelang ihm, sie auf das Board zu hieven, auch wenn er sie dabei kniff und sonstwo hinfasste, und sie war so unbeholfen und ausgepumpt, rotznasig und fett, völlig unromantisch, aber egal. Lady, hatte er gesagt.
    Lady, Lady, Lady. Mit diesem Akzent, den sie dort haben. Er reckte eine Faust in die Luft, schüttelte sich das Wasser aus den Haaren und stieß einen Jubelschrei aus. Fast wäre sie von einem grausamen Tod verschlungen worden, ausgelöscht, doch stattdessen – sie konnte es nicht fassen. Ein Mann, muskulös, schlank, jung, ganz wie sie es liebte, paddelte sie beide zum Ufer zurück. Sie stieg erst vom Surfbrett, als ihre hängenden Füße über den sandigen Boden streiften und das Wasser nur noch knietief war. Sie sah, dass er außer Atem, aber mit sich zufrieden war, und sie verabredeten sich zum Abendessen, denn er hatte ihr das Leben gerettet.
    Später saß sie an dem großen Fenster, schaute auf den Bondi Beach hinunter und wartete auf ihn. Immer noch surften Leute, obwohl es inzwischen dunkel war, aber der Mond schien, und außerdem gab es Flutlichtstrahler wie in einem Stadion. Sie trank ihren Wein und wartete, doch er kam nicht. Vorhin war er einfach plötzlich dagewesen, doch jetzt, wo es so simpel gewesen wäre, ließ er sich nicht blicken.
    Sie beschloss, oben bei Trevor Barker anzurufen und ihn zu fragen, ob er vielleicht Lust hatte, am Wochenende ins Theater zu gehen. In der Hall lief ein neues Stück, für das sie Karten hatte. Und wenn es abends noch warm war, konnten sie danach am Hafen spazierengehen. Vielleicht würde man sie zu einer kleinen Besichtigungstour auf das Kreuzschiff einladen.

Beverly
    Durch die Verandafenster knallte die Sonne auf das glänzende Kirschholz von Beverlys Esstisch. In der Mitte des Tischs lag ein weißes Häkeldeckchen. Sie legte das Telefon auf ihre Serviette. Sie wartete schon die ganze Zeit darauf, dass es klingelte.
    Das Zierdeckchen hatte Helen French angefertigt, eine alte Schulfreundin, die sich auf Taufkleider spezialisiert hatte. Wie man dem Kärtchen entnehmen konnte, das jedem Kauf beigelegt war, hatte Helen Taufkleider an Mitglieder des deutschen und maltesischen Hochadels verkauft. Auch Colleen hatte eines von Helens Taufkleidern getragen, als Beverly sie vor siebzehn Jahren in der Corpus-Christi-Kirche von Father O’Brien hatte taufen lassen. Seine Handrücken waren von Warzen übersät gewesen.
    Beverly berührte ihren Kabeljau mit der Gabel, und ein Stückchen löste sich vom Filet. Sie hatte in der Küche etwas Salsa auf ihren Teller gegeben, da sie das offene Glas auf dem Tisch nicht ertrug. Bevor sie sich setzte, hatte sie das Radio ausgeschaltet, und es war vollkommen still im Haus geworden. Sie wappnete sich gegen diese Stille, so wie ein Skifahrer womöglich tief Luft holt, ehe er einen Hang hinunterfährt. Stille hatte für sie etwas Beängstigendes und zugleich Prickelndes, und in letzter Zeit erschien sie ihr eher als Luxus denn als Entbehrung.
    Sie hatte sich das Telefon ans Ohr gehalten und den Wählton überprüft. Er war laut zu hören. Sie schaltete das Telefon wieder aus und legte es hin. Dann griff sie erneut danach, da sie befürchtete, es nicht richtig ausgeschaltet zu haben. Es war aus, und sie schaltete es wieder ein. Sie schaltete es ein, um sich zu vergewissern, dass die Batterie noch genügend Saft hatte. Dann schaltete sie es wieder aus und legte es neben ihren Teller. Sie war sich sicher, dass Colleen anrufen würde. Drei Tage zuvor hatte sie eine Nachricht vorgefunden: Mom, ich bin in Louisiana, irgendwo in der Pampa, und auf dem Weg nach New Orleans. Ich hab dich lieb, und es tut mir leid, dass ich dich immer wieder enttäusche.
    Sie hob die Gabel mit dem Stückchen Kabeljau zum Mund, doch ihre Aufmerksamkeit wurde vom Garten abgelenkt. Während die Karotten kochten, hatte sie den Rasensprenger angestellt. Sie sah zu, wie sich die Wasserstrahlen aus dem Schatten des Ahorns erhoben, nach oben strebten, einen Moment lang auf die Blätter prasselten und sich dann nach unten neigten. Der Sprühnebel verteilte sich im Sonnenlicht hinter dem

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