Im Rachen des Alligators
getragen, die ein Sportgeschäft einem Frauenhaus gespendet hatte und die an bedürftige Familien in der ganzen Stadt verteilt worden waren, eine Windjacke, die ein sofort identifizierbares Kennzeichen von Armut war, die man aber trotzdem tragen musste, weil die eigene Mutter um jeden Preis denken sollte, dass man die Jacke liebte. Sie hatte nie erlebt, dass ihre Mutter Zahnschmerzen ertrug, weil sie nicht genug Geld für den Zahnarzt hatte.
Trotzdem hatte sie sein Geld geklaut, so war es nun mal.
So war das mit dem Geld.
Frank zog sich ein frisches T-Shirt an, steckte seinen Schlüssel ein und beschloss, durch die Duckworth Street zu gehen und zu schauen, ob er Colleen finden konnte. Er wollte sein Geld zurück.
Draußen auf der Straße spielte der Junge von gegenüber mit einem Seifenblasenschwert. Er drückte auf einen Hebel im Griff, worauf das Schwert sich zu einer großen Raute öffnete und aus dem durchsichtigen Griff Seifenlauge emporschoss, die das Innere der Plastikraute ausfüllte, und wenn er das Schwert in den Wind hielt, entstand eine riesige Blase, die sich wabernd ablöste und aufstieg, und dann spiegelte sich der vor dem Haus geparkte Jaguar von Franks Vermieter darin, schnittig, schwarz und schimmernd glitt er über die Rundung der riesigen Blase. Der Junge streckte die Hand nach der Blase aus, und sie zerplatzte zu einem feinen, sonnendurchglitzerten Sprühregen. Frank setzte sich in Bewegung und drückte dabei die Spitze seines Schlüssels in die Karosserie des Jaguars, er spürte, wie der Lack nachgab, und er zog den Schlüssel vom Rücklicht bis zum Scheinwerfer durch.
Colleen
Ich bin in Toronto auf dem Flughafen, in ein paar Stunden geht mein Anschlussflug nach Louisiana, und ich habe so einen Hunger, dass ich fast ohnmächtig werde. Ich gehe ins Swiss Chalet, und die Bedienung hat ein Namensschild anstecken, auf dem Veronica steht. Sie ist mittleren Alters, um die vierzig, und hat das Haar zur Banane aufgesteckt, soll ich vielleicht Mom anrufen und ihr sagen, wo ich bin? Nein. Noch nicht. Noch nicht. Veronica hat einen Schönheitsfleck auf der Wange. Ich versuche mich daran zu erinnern, wer die Veronica aus der Bibel war.
Ich kenne den Jungen, der in der Küche arbeitet, sagt Veronica. Ich werde ihm sagen, dass du nicht viel Zeit hast, er wird sich mir zuliebe beeilen. Veronica hat einen Akzent, den ich nicht erkenne.
Sie zwinkert mir zu und stellt mir den Teller mit dem Huhn hin, dazu ein Schüsselchen Soße und eine Fingerschale, ich habe einen Bärenhunger. Das Huhn ist saftig und lecker.
Bald werde ich im Flugzeug sitzen, und es wird auf der Piste Kreise ziehen und auf die Starterlaubnis warten. Die Kabinenbeleuchtung wird ausgehen, und die Stewardessen werden der Reihe nach die Fächer fürs Handgepäck zudrücken. Ich kann das Swiss Chalet nicht verlassen, ohne zu bezahlen, denn ich bin auf dem Flughafen, da wird man schnell geschnappt. Aber wenn ich erst mal durch den Zoll bin, dann bin ich durch, und es ist so viel los hier, ein Tisch mit mehreren komplett verschleierten Frauen, ein anderer mit fünf Piloten, ein kleines Mädchen, das sich die Seele aus dem Leib brüllt. Ich könnte ziemlich schnell hier verschwinden. Mit Franks Geld sollte ich mich eine ganze Weile über Wasser halten können, aber es wäre gut, wenn ich nicht für jede Mahlzeit bezahlen müsste. Swiss Chalet ist eine große Kette, wahrscheinlich gehört sie zu irgendeinem multinationalen Konzern. Veronica dreht mir gerade den Rücken zu. Hier ist die Hölle los, sie arbeitet wahrscheinlich schon seit Stunden, ist abgekämpft. Es gibt zwei Eingänge, und wenn ich den neben den Toiletten nehme, muss ich an niemandem vorbei. Ich könnte gehen, und es würde mindestens fünf Minuten dauern, bis Veronica etwas merkt.
Madeleine
Sie erinnert sich an ein Geschäftsessen in Sydney, Australien. Hatte sie dort über die Kunst des Dokumentarfilms gesprochen? Ja, genau. Sie hatte darüber gesprochen, dass man mit einem guten Dokumentarfilm die Welt verändern kann. Ein paar Tage zuvor wäre sie fast ertrunken.
Als sie die Welt verändern sagte, dachte sie an die Mühe, die es kostete, das Räderwerk der Finanzierung in Gang zu setzen, damit man schließlich und endlich sein Teil sagen konnte. Es dauerte zwei Jahre oder mehr, den nötigen Druck auf die Chefetagen auszuüben, das Konzept zu manipulieren, das Konzept zu verraten und sich dabei doch die ganze Zeit treu zu bleiben. Aber wenn man stark und unverfroren
Weitere Kostenlose Bücher