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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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auftrat, so ihre Erfahrung, gelang es einem letztlich meist, sein Teil zu sagen. Sie war absolut dafür, dass man sein Teil sagte.
    Jedes ihrer Projekte begann damit, dass sie etwas ziemlich Einfaches sagen wollte, zum Beispiel: Es ist okay, Seehundbabys umzubringen, oder, es ist nicht gut, seine Frau zu verprügeln, oder, können wir den Menschen im Sudan nicht helfen, ehe sie alle auf unvorstellbar grausige Weise sterben? Es gab Transvestiten, die sich Gel spritzten, um Brüste zu bekommen, und dann daran starben, und das war nicht gut. Dass die Polizisten in St. John’s Waffen trugen, war nicht gut. Was immer sie auch sagen wollte, die Botschaft sollte durch die Bilder vermittelt werden, und ja, natürlich würde es eine Botschaft geben, wozu sonst soviel Geld auftreiben. Selbstverständlich würde es eine Botschaft geben.
    Das war es wohl, was sie sagte, dort auf dem Podium in Sydney. Aber dabei dachte sie daran, wie sie ein paar Tage zuvor am Bondi Beach schwimmen gegangen war und die Strömung sie hinausgetragen hatte. Vom Strand aus war sie vermutlich nur noch als Pünktchen zu sehen gewesen. Aus der Ferne sah sie ein paar Gestalten in schwarzen Neoprenanzügen, nadeldünn und von der Sonne beschienen. Sie sah zu, wie sie mit ihren Surfbrettern, die aussahen wie Waffeln, ins Wasser wateten, wie sie sich darauf legten und hinauspaddelten und dann aufstanden und mit erhobenen Armen über die Wellenkämme sausten. Sie dachte an ihre grünen Baumwollsneakers auf dem Sand. Sie hatte ihre goldene Uhr und den Schlüssel ihres Hotelzimmers vorn in den einen Schuh geschoben. Sie hatte Lust gehabt, schwimmen zu gehen, und sich gedacht, was soll’s, wenn jemand die Uhr klaut, kauf ich mir halt eine neue.
    Ja, es würde eine starke Botschaft geben, erklärte sie ihnen. Aber sie versprach ihnen noch mehr. Sie würden eine Geschichte präsentiert bekommen, mit der sie nicht rechneten. Sie würden mindestens einmal schallend lachen. Sie würden nicht mehr ganz dieselben sein wie zuvor. So etwas in der Art sagte sie auf dem Podium. Sie zählte die Versprechen an den Fingern ab. Sie ließ die »p«s knallen, während sie ins Mikro sprach.
    Das Meer wollte sie, es wollte sie ganz dringend. Sie spürte die Bereitschaft in sich, aufzugeben. Warum sollte sie es sich nicht einmal leicht machen. Sie dachte an die Sneakers am Strand und sah sie wie in einer Einstellung, Sandschleier wehten darüber hinweg, bedeckten sie halb, allerdings müsste es eine kurze Einstellung sein, sonst wäre es kitschig. Aber warum nicht kitschig, dachte sie. Was ist so schlimm an ein bisschen Kitsch? Schließlich sterbe ich gleich.
    Sie habe einen Dokumentarfilm darüber gedreht, dass die Polizisten in St. John’s Waffen trugen, erzählte sie ihnen als Beispiel, und die Frage sei damals gewesen, ob sie den Wachmann, der auf eine öffentliche Toilette gegangen war, sich hingesetzt und die Pistole hinten auf die Toilette gelegt hatte und dann wieder hinausgegangen war, dazu würde bewegen können, vor der Kamera zu sprechen.
    Zu wem sprach sie da überhaupt? Zu älteren Damen mit Hut. Ein paar grauhaarigen, gebrechlich wirkenden Männern. Es war ihr egal, wer da saß, sie wäre fast ertrunken. Sie sollten wissen, wer Ihr Publikum ist, riet sie ihnen.
    Sie versuchte sich kurz zu fassen, denn nach ihr sollte ein älterer Dichter sprechen, und der hatte sich in der Pause zu ihr hinübergebeugt, zitternd und kaum in der Lage zu sprechen, doch sein Mund war offen, und seinen Augen war das ernsthafte Bemühen anzusehen, ein dringendes Anliegen zu vermitteln. Er musste beide Hände zur Faust ballen, um seinem welken Körper abzuringen, was zu sagen ihm so ein großes Bedürfnis war, nämlich dass er vor dem Ende dieses Treffens das Zeitliche segnen würde, wenn sie ihren Vortrag zu sehr in die Länge zog. Er kämpfte darum, vor ihr zu sprechen, aber sie war als erste Rednerin vorgesehen und nicht bereit, darauf zu verzichten. Soll der alte Kauz doch krepieren, dachte sie.
    Ein Typ in einem dieser schwarzen Gummianzüge schoss auf einem gelben Surfbrett an ihr vorbei. Er hätte ihr fast den Schädel zerschmettert, und sein Brett wirbelte in die Luft. In einer Eruption weißer Gischt wurde er in die Luft geschleudert, das Brett knallte herunter, und er knallte wieder auf das Brett. Dann brach eine Welle über ihm, eine feurig grüne Wand aus Licht und Dunst und Regenbogen. Er sauste durch einen schmalen Tunnel auf Madeleine zu. Der Tunnel schloss sich hinter

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