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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Ahorn und wurde zu einem schimmernden, halb transparenten Schleier, der sich sanft auf das Gras hinuntersenkte, und Beverly dachte sich, dass es ein gewisses Geschick erforderte zu lieben.
    Man braucht ein gewisses Geschick dafür, dachte sie. Sonst war es zu mühsam. Man konnte Liebe nicht erzwingen. Sie hatte David geliebt. Es war ihre größte Leistung gewesen, dachte sie, diese unangestrengte Liebe, und der Sprenger hob wieder seinen sonnendurchglitzerten Fächer, und auf den Blättern prasselte es wie Applaus.
    Colleen war anstrengend. Sie war anstrengend, aber die Liebe zu ihr war instinktiv und unerschütterlich, voller Angst und Bedürftigkeit, und der Strahlenfächer senkte sich in den Schatten und benetzte die Rinde des Baums.
    Der Rasen war am Nachmittag, als sie noch bei der Arbeit war, gemäht, aber nicht gerecht worden. Durch das offene Fenster roch sie den nassen Grasschnitt. Dicht an der Scheibe sah sie einen Schwarm Kriebelmücken oder Moskitos oder Fliegen aufsteigen, ein wildes Gewusel. Die Sonne ging gerade unter, eine rote Kugel, die zwischen den beiden Bungalows hinter ihrem Garten hing.
    Das Wort war ihr am Abend zuvor kurz vor dem Einschlafen in den Sinn gekommen: Geschick. Sie hatte es laut ausgesprochen, weil sie es so überraschend fand.
    Geschick, sagte sie. Doch ihr war nicht bewusst, dass sie etwas gesagt hatte.
    Colleens Taufe hatte an einem Montagnachmittag Ende März stattgefunden. Der Schnee zog sich langsam von den Bürgersteigen zurück, am Ufer des Waterford River schoben sich Krokusse aus der nassen Erde wie eine Armee von Bajonetten, gezackte Eisschollen trieben im Fluss. Die kleinen Bäche, die sich in den South Side Hills über die Kliffs ergossen, waren noch gefroren, sie klebten am Fels wie Kerzenwachs an einer Weinflasche. Der Kabeljau war pochiert. Er hätte eigentlich in Sekt pochiert werden sollen, doch Beverly hatte Wasser verwendet. Drei Scheiben Zitrone und etwas frische Petersilie lagen auf ihrem Teller.
    Beverly hatte bei der Taufe einen rohseidenen Minirock in Kaugummipink mit der dazugehörigen Jacke getragen. Sie hatte ihn bei Bowring’s gekauft und viel dafür bezahlt, und sie war stolz auf ihre Beine, aber Father O’Brien hatte eine unfreundliche Bemerkung über die Rocklänge gemacht.
    Dieser Rock ist kein angemessenes Kleidungsstück für eine junge Mutter, hatte er gesagt, schon gar nicht in einem Gotteshaus.
    Er nahm seine dicke schwarze Brille ab, kniff die Augen zusammen, und dann schwang er die verschmutzte Brille in konzentrischen Kreisen durch die Luft, während er die obligate pedantische Haltung der Kirche erläuterte, ihre Standpunkte darlegte, man müsse fest bleiben, heute mehr denn je, die Abspaltung der Kirchen in Lateinamerika, das Übel der Empfängnisverhütung. Dann setzte er die Brille wieder auf, öffnete die Augen und blinzelte, als wäre er nur widerwillig Verkünder dieser unerfreulichen Botschaft gewesen und käme gerade wieder zu sich. Er legte Beverly seine warzige Hand auf die Schulter, schob sie ins kühle Dunkel der Kirche.
    Das eng anliegende Häubchen, das zum Taufkleid gehörte – der schönste Teil des Ganzen, fand Beverly – war mit Perlmuttperlen besetzt, die so dicht nebeneinander saßen, dass die Haube hart wie ein Helm war, und die Schleppe des Kleides fiel über den Holzboden rund um Beverlys hochhackige Schuhe. Madeleine und Marty waren Colleens Paten, obwohl sie Atheisten waren. David stand neben Beverly, ein Fläschchen mit gerade abgepumpter Milch in der Hand. Sie wollte, dass Colleen getauft wurde, weil sie an Gott und an den Sinn von Zeremonien glaubte. Sie glaubte, dass das Sakrale – Weihrauch und Gebete – dazugehörte, wenn man ein Kind auf der Welt willkommen heißen wollte.
    Beverly hatte Kentucky Fried Chicken, Kartoffelsalat und Wein sowie Plastikbesteck und Pappbecher für ein anschließendes Picknick im Bowring Park gerichtet, doch während sie in der Kirche waren, schlug das Wetter um – es blitzte, und in der Ferne grollte Donner –, und so aßen sie schließlich im Auto, während der Regen aufs Autodach hämmerte. Sie reichten den Behälter mit dem Huhn herum und wischten sich mit Papierservietten die fettigen Gesichter ab. Der Regen strömte über die Windschutzscheibe, und der Ententeich war braun und aufgewühlt. Im plötzlich auffrischenden Wind breitete ein Schwan seine unfassbar großen weißen Schwingen aus und rauschte mit solcher Rasanz über den Teich, dass Beverly spürte, wie ihr

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