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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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hatte den Motor gestartet, ehe sie es sah. Dann sah sie es. Die Fassade des Hauses lag noch im Schatten. Sie stellte den Motor wieder ab, stieg aus und schlug so leise wie möglich die Autotür zu. Das Erkerfenster war besprüht worden, auf jeder der vier Scheiben standen zwei Buchstaben, die zusammen das Wort Schlampe ergaben. SC-HL-AM-PE. Dicke weiße Kleckse waren in ihren Rhododendron gefallen und hatten sich auf dem Rasen verteilt.
    Sie lief durch die Lücke in der Gartenhecke. Jetzt war Eile angesagt. Sie musste das Wort vom Fenster entfernen, bevor Colleen aufwachte. Colleen sollte nichts davon erfahren. Sie würde sie schützen, es war wichtig, dass sie mit dieser Art von Niedertracht nicht konfrontiert wurde. In Beverlys Augen war dies ein niederträchtiger Akt. Im taufeuchten Gras wurden ihre Strümpfe nass und sie kippelte auf einem ihrer hohen Absätze. Beverly lehnte sich in den Rhododendron, sie stellte sich auf die Zedernholzschnitzel unter dem alten Baum, beugte sich vor, um das S wegzukratzen, und hatte gleich den halben Buchstaben in der Hand. In der kühlen Nachtluft hatte sich auf dem Rasierschaum eine dünne Kruste gebildet, doch darunter fühlte er sich schwammig an, und als sie ihn zwischen den Fingern zerdrückte, stieg ein stechender, künstlicher Blumenduft auf. Sie beugte sich näher zum Fenster, das im Schatten des Dachgesimses schwarz aussah, und merkte, dass der Rasierschaum einen harten transparenten Streifen hinterlassen hatte, gleich der Spur einer Schnecke auf dem Bürgersteig. Sie kratzte mit dem Fingernagel an dem Streifen, und er blätterte in spröden, glänzenden Schuppen ab, wie sich schälende Haut. Als sie die Überreste des Streifens entfernen wollte, hätte sie vor Schreck fast aufgeschrien. Auf der anderen Seite der Scheibe stand plötzlich Colleen. Sie war aufgestanden und ans Fenster getreten. Ihre Gesichter waren so nah beieinander, dass sie sich hätten küssen können.
    Sie griff nach dem Telefon und schüttelte es leicht. Dann legte sie es wieder auf die Serviette und aß das Fischfilet in drei raschen Happen, fast ohne zu kauen.

Loyola
    Leben Sie allein hier?, fragte Colleen. Er bereitete gerade Flusskrebse für sie zu, weil sie noch nie welche gegessen hatte. Auf dem Herd stand ein riesiger Topf mit kochendem Wasser, dichte Dampfschwaden stiegen in das Licht über dem Kühlschrank. Er hatte Kerzen aufgestellt.
    Sie war am frühen Abend auf das Haus zugelaufen und stehengeblieben, als sie das an einer Schnur aufgehängte »Geschlossen«-Schild sah. Sie legte die gewölbten Hände um die Augen, lehnte die Stirn an die Fliegentür und sah ihn hinter der Theke sitzen.
    Sie hatte die Sonne im Rücken, und das Licht schien durch die Fliegentür herein, durch ihre Haare und unter ihren Armen hindurch. Sie trug einen Rock, der das Sonnenlicht durchließ, und ihre Beine zeichneten sich darin ab, sie waren lang und wohlgeformt. Sie blieb stehen, las das Schild und kam dann trotzdem herein. Die Tür knallte hinter ihr zu, und das Ganze hatte etwas Vertrautes.
    Er kannte diese Sorte Mädchen, er war im Sumpfgebiet aufgewachsen, hatte sein Leben mit Alligatoren und Touristen verbracht. Ihn überraschte so schnell nichts.
    Ich bin mir selbst genug, sagte er. Er kippte die Flusskrebse in eine Schüssel und stellte sie auf den Tisch.
    Seine Frau war acht Monate nach dem Unfall gegangen. Sie hatte ihn durch die schlimmste Zeit gebracht. Er hatte sich eine Infektion zugezogen und deliriert, war eine Woche lang mal Berserker, mal Baby gewesen, und man hatte seiner Frau gesagt, sie solle sich auf das Schlimmste gefasst machen.
    Doch am siebten Tag ließ das Fieber nach und er begann zu genesen, wobei er nie wieder ganz gesund wurde.
    Seine Frau sagte, er sei nicht mehr der Mann, den sie geheiratet habe.
    Du bist nicht mehr der Alte, Loyola, sagte sie.
    Sie hatte ihren Koffer in ihren Chevy Impala gehievt, einen ursprünglich babyblauen Wagen, der von der Sonne völlig ausgebleicht und inzwischen bis auf den Rost, der wie Schorf auf den Kotflügeln saß, fast farblos war.
    Das Mädchen betrachtete die gerahmten Bilder an der Wand, die Hände in die Hintertaschen ihres Rocks geschoben. Sie schaute sich das Bild an, auf dem er mit Präsident Bush neben dem Propellerboot stand, den Arm um die Schultern des Präsidenten gelegt. Er hatte ihm das Reservat gezeigt, er mochte den Mann und fand seine Entscheidungen im Irak richtig. Seit dem Unfall bekam er manchmal Anfälle, nach denen ihm

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