Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Bankiers sich als moralische Instanzen gerierten und jedem strenge Verhaltensregeln vorschrieben, ließ sich nicht bestreiten, dass sie gute Argumente hatten.
    Tatsache war, dachte Frank, dass die New York Stock Exchange in den letzten Jahrzehnten – ja, eigentlich solange er zurückdenken konnte – kaum als respektabler Ort galt. War die Eisenbahn eine große Attraktion gewesen, so fungierte die Börse als dazugehöriger Jahrmarkt. Man konnte sich dort praktisch alles leisten.
    Der einfachste Trick bestand darin, eine Gesellschaft unter seine Kontrolle zu bringen. Männer wie Jay Gould gaben munter neue Aktien aus, ohne den alten Aktionären auch nur ein Wort davon zu sagen, und nahmen durch neue Aktionäre neues Geld ein, während sie damit gleichzeitig den Börsenwert der alten Anteile verringerten. Das Kapital verwässern nannte man das. Man konnte neue Gesellschaften gründen und damit die alten aufkaufen, bis keiner mehr wusste, wem was eigentlich gehörte. Man konnte Politiker kaufen, damit sie für Konzessionen stimmten, die der eigenen Gesellschaft zugute kommen würden, und sie mit Geschäftsanteilen bezahlen. Vor allen Dingen konnte man den Börsenwert des eigenen Unternehmens manipulieren und dann mit seinen Aktien spekulieren.
    Doch jetzt pochten solide Männer wie Morgan auf die Einhaltung neuer Spielregeln. Der Markt wurde aufgeräumt – wenn auch langsam. »Am meisten verpönt«, erklärte Tom, »sind zur Zeit Firmen, die den Kurs ihrer eigenen Aktie manipulieren. Ein Beispiel: Eine Firma bietet dir eine größere Anzahl Anteile zu einem Vorzugspreis an. Dann erzeugt die Firma durch falsche Informationen und andere Tricks den Eindruck, ihre Aktien seien wertlos. So kann sie deine Order bedienen, indem sie ihre eigenen Aktien zu einem Schleuderpreis kauft. Eine Woche später ist die künstliche Panik vorüber, und die Firma hat einen fetten Gewinn gemacht. Manche Firmen haben dieses Spiel schon mehrmals durchgezogen. Und wenn Börsenmakler anfangen, Wetten auf Kursentwicklungen abzuschließen, können sie durch solche Manipulationen natürlich böse auf die Nase fallen. Gabriel Love ist einer der Hauptakteure in diesem Schwindelgeschäft. Kennst du ihn?«
    »Der Name sagt mir was«, erwiderte Frank Master vorsichtig.
    »Er gehört ins Zuchthaus«, sagte Tom bestimmt. »Aber dein Eisenbahngeschäft klingt nicht danach. Im Klartext würdest du durch dein Aktienkapital eine marktbeherrschende Stellung einnehmen und könntest entsprechend davon profitieren. Solange nichts anderes hinter den Kulissen abläuft …«
    »Du meinst also, es ist in Ordnung?«
    »Wenn du möchtest, wäre es mir ein Vergnügen, das Geschäft für dich abzuwickeln.«
    »Das ist nett von dir, Tom, aber ich glaube, das schaffe ich schon selbst.«
    »Wie du möchtest. Wenn dir allerdings irgendetwas zu Ohren kommen sollte, was dich argwöhnisch macht, hast du ja eine ganz einfache Option: Behalte deine Aktien. Verkaufe sie nicht oder warte damit zumindest, bis sich die ganze Sache beruhigt. Die Aktie behält unter Umständen ihren hohen Wert, und du könntest sie dann immer noch abstoßen und damit einen hübschen Gewinn machen. Das wäre völlig legitim.«
    »Danke, Tom.«
    »War mir ein Vergnügen. Du willst mir nicht verraten, um welche Eisenbahngesellschaft es sich handelt?«
    »Nicht zu diesem Zeitpunkt.«
    »Nun, viel Glück. Vergiss nur eins nicht: Halt dich von Gabriel Love fern.«
    »Danke«, sagte Frank. »Das werde ich mir merken.«
    *
    Das zweite Geschäftsessen im Delmonico’s fand am folgenden Freitag statt. Sie waren wieder unter sich: Frank, Sean O’Donnell und Gabriel Love. Wie schon das erste Mal ließ Love seine Leibesfülle langsam auf seinen Stuhl sinken und blickte seine zwei Tischgenossen über seinen weißen Rauschebart hinweg gütig an. Und Sean lächelte Frank beruhigend zu, als wolle er sagen: »Ist er nicht eine tolle Nummer?« Master hatte sich auf dieses Treffen gründlich vorbereitet.
    »Mr Love«, sagte er, sobald sie die Getränke bestellt hatten, »ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese geplante Transaktion noch einmal in allen Einzelheiten schildern würden.« Er lächelte. »Nur damit ich weiß, auf was ich mich da einlasse.«
    Wieder richteten sich die wässrigen blassblauen Augen mild auf ihn. Oder versteckte sich hinter ihrem Wohlwollen bereits ein Anflug von Ungeduld?
    »Das Geschäft, meine Freunde«, sagte Mr Love in sanftestem Ton, »ist die Einfachheit selbst. Und Ihre Rolle dabei

Weitere Kostenlose Bücher