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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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nahezu vollkommen.« Frank hörte schweigend zu. Natürlich erinnerte sich jeder an die Jahre nach dem Bürgerkrieg. Wenn die heutigen Eisenbahnbarone Renaissancefürsten ähnelten, war die Wall Street der späten Sechzigerjahre das finstere Mittelalter gewesen – damals, als die New Yorker Korruption auch die Börse erfasste. Die Geschichte aus dem Mund eines der einstigen Hauptakteure zu hören war eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen durfte.
    »Ich habe schon immer gesagt, dass Ihr Freund Fernando Wood sogar noch mehr für sich erreicht hätte«, sagte Gabriel Love zu Sean, »wenn er nicht zu Tammany Hall auf Distanz gegangen wäre.«
    »Stimmt wohl«, räumte O’Donnell ein.
    »Tammany Hall ist die Antwort auf jedes Problem in dieser Stadt, und Boss Tweed wusste das. Ein bisschen Geld kann man auch ohne die Politik verdienen. Aber um das große Geld zu machen, muss man die Legislative kaufen. Anders geht das nicht.«
    »Öffentliche Aufträge«, sagte O’Donnell mit zärtlicher Stimme.
    »Öffentliche Aufträge, sicher«, echote Love. »Gar keine Frage, mit öffentlichen Aufträgen kann man Unsummen verdienen. Doch für einen Mann mit Weitblick sind sie nur der Anfang. Und Boss Tweed hatte Weitblick. Sie wollen, dass Ihre Eisenbahn einen bestimmten Streckenverlauf nimmt, und brauchen dafür die Genehmigung der Stadt oder des Staates? Dann müssen Sie die Abgeordneten bezahlen. Ein paar von ihnen einen Direktorenposten geben. Ihre Firma wird verklagt? Dann müssen Sie einen Richter kaufen. In der Tammany Hall wurde das alles geregelt. Boss Tweed war der Mann, den Sie brauchten.«
    Er schloss für einen Moment die Augen und schwelgte in der Erinnerung. »Die Polizei bestand ausschließlich aus strammen Tammany-Jungs. Die Richter, die Stadtverordneten, selbst der Gouverneur des Staates New York – alle standen sie auf seiner Lohnliste. An der Wall Street haben wir nur abgesahnt. Man konnte Aktienkapital verwässern, Leerverkäufe auf Kosten der eigenen Aktionäre tätigen, alles möglich. Und wenn ein Richter gegen einen entschied, was soll’s, dann besorgte Tweed einem ein gegenteiliges Urteil, mit dem die Sache noch jahrelang in der Schwebe blieb.
    Das waren goldene Zeiten für Visionäre. Jay Gould – in meinen Augen der größte Spekulant überhaupt – schaffte es beinahe, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, damals Ulysses Grant, dazu zu überreden, die Goldreserven zurückzuhalten, sodass Gould den Goldmarkt beherrscht hätte. Ja, Sir, er spannte keinen Geringeren als den Präsidenten ein. Und wenn nicht ein hergelaufener Intrigant Grant auf die Nase gebunden hätte, was Mr Gould im Schilde führte, dann hätte er die Sache auch durchgezogen. Das wäre wundervoll gewesen.« Er seufzte. »Aber die Börse und die verdammte Anwaltskammer, dazu Mr Morgan und seinesgleichen, die machen das alles zunehmend schwieriger.« Er schüttelte den Kopf über die Narrheit der Menschen. »Die Freude verabschiedet sich vom Aktienmarkt, meine Herren. Dem Glück lässt sich nicht mehr angemessen nachhelfen. Und Gabriel Love nimmt ebenfalls seinen Abschied.«
    »Das Spiel ist noch nicht vorbei«, sagte Sean. »Man kann in der Wall Street nach wie vor viel erreichen – schauen Sie doch, was Sie gerade durchziehen!«
    Blitzartig, so schnell, dass man es kaum sah, warf Mr Love O’Donnell einen warnenden Blick zu.
    »Ach was, selbst Mr Morgan könnte das machen, was wir machen«, sagte er tadelnd. Dann seufzte er wieder. »Ich habe mich zur Ruhe gesetzt, O’Donnell«, sagte er. »Für mich ist das Spiel vorbei.«
    Frank hatte diesem Gespräch mit zunehmend entsetzter Faszination gelauscht. Nicht dass ein bisschen Korruption ihm je zu schaffen gemacht hätte – die gehörte zum Leben in der Stadt einfach dazu. Aber zu hören, wie diese zwei Männer, seine Geschäftspartner, die ganze gewaltige Maschinerie des Schwindels und der Korruption mit solcher Liebe und Vertrautheit beschrieben, das machte ihn nervös. Die geplante Aktion schien juristisch unanfechtbar zu sein, aber was, wenn da noch etwas war, das er nicht wusste? Wenn Jay Gould imstande gewesen war, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu seinem Handlanger zu machen, dachte er, könnte Gabriel Love dann nicht dabei sein, ihn hereinzulegen? Und die Worte seines Sohnes Tom hallten Unheil kündend in seiner Erinnerung: »Halt dich von Gabriel Love fern.«
    Wieder spürte er ein klammes Gefühl an der Stirn.
    »Sind Sie absolut sicher, dass

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