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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seine Schwester Mary erschien.
    Sie verbrachten eine angenehme Stunde miteinander, plauderten über dies und jenes, und nach einer Weile wandte sich das Gespräch der Familie Master zu.
    »Weißt du noch, wie du mir mal gesagt hast, Frank Master würde sich zur Witzfigur machen, und er sollte sich besser vorsehen?«, fing Mary an. »Also, gehe ich recht in der Annahme, dass er sich eine junge Dame zugelegt hat?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich weiß nicht. Er sieht sehr mit sich zufrieden aus, doch auch ein bisschen angestrengt. Da bin ich einfach neugierig geworden.«
    »Tja«, sagte Sean lächelnd, »du hast richtig geraten. Sie heißt Donna Clipp. ›Clipper‹, wie er sie zärtlich nennt. Und er sollte die Sache beenden.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Glaubst du vielleicht, dass seine Frau etwas ahnt?«
    »Es hat in all den Jahren nie Anzeichen gegeben, dass sie von Lily de Chantal etwas wusste«, antwortete Mary. »Wenn sie von ihr nie erfahren hat, warum sollte sie dann von dieser Neuen wissen?«
    »Freut mich zu hören«, sagte Sean. »Sie ist eine gute Frau, auf ihre Weise, und es täte mir leid, wenn ihr wehgetan würde.« Er schwieg kurz. »Wusstest du, dass Master nächsten Sonntag geschäftlich den Fluss hinauffährt? Er wird ein paar Tage wegbleiben, und er nimmt das Mädchen mit.« Er zuckte die Achseln. »Ich hoffe bloß, die Sache ist bald vorbei.«
    »Alter schützt vor Torheit nicht«, sagte Mary.
    »Aber behalt’s für dich.«
    »Hast du mich je als Plaudertasche erlebt?«
    »Nein«, sagte Sean beifällig, »das kann ich wirklich nicht behaupten.«
    *
    Eine Stunde später teilte Mary Hetty Master mit: »Am Sonntag nimmt er sie mit auf den Flussdampfer. Und er nennt sie Clipper.«
    »Gut«, sagte Hetty. »Das passt ausgezeichnet.«
    *
    Frank Master hatte lange gezögert, doch am folgenden Mittwoch gelangte er endlich zu einem Entschluss. Er verließ am späten Vormittag das Haus, ging die 14th in östlicher Richtung bis zur El-Haltestelle, stieg dann die offene Treppe hinauf und erreichte den Bahnsteig.
    Auf der Treppe war ihm kurz unwohl gewesen, aber das schien jetzt zu verfliegen, also atmete er tief durch, drückte die Brust heraus, gratulierte sich zu seiner noch immer verdammt guten Form und steckte sich eine Zigarre an.
    Wegen der späten Vormittagsstunde waren nicht viele Leute unterwegs. Er schlenderte den Bahnsteig entlang und blickte hinunter auf das Gewirr von Drähten, die zwischen den Telegrafenstangen gespannt waren, und auf die Schieferdächer der kleinen Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Dächer waren vom Rauch der Züge, die über sie hinwegfuhren, ganz verrußt, und sie sahen zu dieser Zeit des Jahres, im Vorfrühling, normalerweise traurig und hoffnungslos aus. Dieser März allerdings war so warm, dass sie in der Morgensonne zwar dreckig, aber fast vergnügt wirkten.
    Frank brauchte nicht lange zu warten, bis ein lauter werdendes Schnaufen und Rattern ankündigte, dass ein Zug der Hochbahn sich näherte. Während der Zug ihn in Richtung Downtown beförderte, wünschte sich Frank, er wäre nicht eingestiegen. Aus zwei Gründen. Erstens würde er seinem Sohn begegnen. Zweitens bedeutete dies, dass er in die Wall Street musste.
    Es war ein paar Wochen her, dass er Tom zuletzt gesehen hatte. Natürlich liebte er seinen Sohn, doch wenn sie zusammen waren, lag immer eine leichte Spannung in der Luft. Nicht dass Tom je etwas gesagt hätte – das war nicht seine Art –, aber seit jenem Tag, an dem die Einberufungskrawalle begannen, wurde Frank das Gefühl nicht los, dass Tom nicht viel von ihm hielt. Etwas in seinem Blick schien zu sagen: Du hast meine Mutter im Stich gelassen, und wir beide wissen es. Tja, vielleicht war das so. Doch das lag inzwischen lang, lang zurück – lange genug, um inzwischen eigentlich vergeben und vergessen zu sein. Sicher, er hatte während fast dieser ganzen Zeit sein Verhältnis mit Lily de Chantal fortgeführt, wobei er sich ziemlich sicher war, dass Tom nichts davon wusste. Das war also keine Entschuldigung.
    Trotzdem konnte er auch ganz nützlich sein. Und gerade jetzt, während der Zug ihn in Richtung Downtown beförderte, hatte Frank das Gefühl, dass er Tom brauchte.
    Er stieg an der Fulton aus und ging zu Fuß weiter bis zur Wall Street.
    Warum fühlte er sich dort so unbehaglich? Früher hatte er diese Straße durchaus gemocht. Die Trinity Church ragte noch immer in all ihrer feierlichen Pracht über das Westende

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