Im Rausch der Freiheit
werden beide einen hübschen Gewinn machen, Mr Master. Einen sehr hübschen Gewinn.«
»Ein wunderschöner Plan«, sagte Sean.
»Seine Schönheit«, sagte Mr Love gütig, »liegt darin, dass jeder bekommt, was er will. Ich werde mit einem großen Profit aus dem Geschäftsleben aussteigen. Der hier anwesende Mr Master wird ebenfalls einen Gewinn machen, ohne Risiken eingegangen zu sein. Selbst diejenigen, die Niagaraaktien kaufen, werden profitieren. Denn sobald Mr MacDuff erfährt, dass ich aus dem Geschäft raus bin, wird er keinen Grund haben, das Naheliegende zu tun und die Niagara der Hudson-Ohio anzugliedern, was eine Wertsteigerung für ihre Aktien bedeuten wird. Selbst MacDuff bekommt, was er will, denn er wird eine unumschränkte Mehrheitsbeteiligung an der Hudson-Ohio besitzen.« Und hier verhärteten sich Mr Loves wasserblaue Augen nicht nur, sondern schienen sich auch zu verengen, bis sein ganzes Gesicht, statt dem des Weihnachtsmanns zu ähneln, mit einem Mal an eine große weiße Ratte erinnerte. »Aber«, flüsterte er, »er wird mir dafür einen Wucherpreis bezahlt haben.«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Dann erschienen drei Kellner mit je einem Teller Hummer Newburg. Das Delmonico’s war dafür berühmt.
»Ich werde das Tischgebet sprechen«, sagte Gabriel Love. Er legte die Finger aneinander und betete mit sanfter Stimme: »O Herr, wir danken Dir für diese Deine Gabe von Hummer Newburg. Und gewähre uns auch, so es Dein Wille ist, die Kontrolle über die Hudson Ohio Railroad.«
»Aber wir wollen die Kontrolle über die Hudson-Ohio doch gar nicht«, wandte Sean leise ein.
»Stimmt«, sagte Gabriel Love, »aber das braucht der Allmächtige jetzt noch nicht zu wissen.«
War die Sache koscher? Es sah so aus. Frank warf Sean einen Blick zu. Sean lächelte beruhigend.
»Was mir besonders gefällt«, sagte Sean, »ist die Tatsache, dass die ganze Sache hundertprozentig legal ist. Sie kaufen Aktien, MacDuff gerät in Panik, der Markt kocht über, Sie und Master verkaufen mit Gewinn. Da ist nichts dran auszusetzen. Und es wird funktionieren. Solange MacDuff nicht Unrat wittert.«
»Deswegen habe ich gewartet, bis er nicht in der Stadt sein würde«, sagte Gabriel Love. »Könnte er in Masters Kontor spazieren und ihn persönlich zur Rede stellen, ja könnte er ihn auch nur telegraphisch erreichen, fiele mein Plan wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Aber wenn er das nicht kann, wird er unsicher, und Unsicherheit gebiert Angst. Sein inneres Gleichgewicht dürfte ohnehin gestört sein. Die da heiratet, ist seine Lieblingsenkelin, und MacDuff ist ein sentimentaler Mensch.« Er seufzte. »Die menschliche Natur, meine Herren. Es ist stets die Erbsünde, die den Menschen in sein Unglück treibt.« Er blickte sie beide mit heiterer Gelassenheit an. »Ich bin Börsenspekulant, meine Herren, und damit Teil von Gottes Plan. Der Mensch lernt nur durch Leiden. Also bestrafe ich die menschliche Schwäche, und Gott belohnt mich dafür.«
»Amen«, sagte Sean O’Donnell mit einem Grinsen.
Sie hatten ihren Hummer aufgegessen. »Charlotte russe« wurde als Dessert vorgeschlagen und akzeptiert; den Abschluss würden Weinbrandbirnen bilden. Das Gespräch wandte sich dem Theater zu, dann dem Pferderennen, begleitet von einem französischen Dessertwein. Frank fühlte sich etwas unwohl; seine Stirn war feucht. Er gelangte zu dem Schluss, dass er zu viel aß, und lehnte dankend ab, als ihm eine zweite Portion Charlotte russe angeboten wurde.
»So«, sagte Sean währenddessen zu Gabriel Love, »was werden Sie nach diesem Coup als Nächstes tun?«
»Als Nächstes?« Mr Love ließ den Blick gelassen über die Tafel schweifen. »Nichts, Mr O’Donnell. Ich werde nichts tun.«
»Das sieht Ihnen nicht ähnlich«, sagte Sean.
»Ich setze mich zur Ruhe«, verkündete Gabriel Love. »Ich widme mich fortan ausschließlich frommen Werken.«
»Den Geschmack an der Börse verloren?«
»Zu viele Vorschriften, Mr O’Donnell. Zu viele Bankiers wie Morgan. Die sind mir zu mächtig. Und außerdem« – er schüttelte dabei wehmütig den Kopf- »verbannen sie leider das Leben und die Süße aus dem Geschäft.«
Es entstand eine Pause, während die zwei Männer sich an die einstige Süße des Lebens erinnerten.
»Die Sechziger«, sagte Sean O’Donnell. »Das waren noch Zeiten.«
»Wie wahr«, sagte Gabriel Love.
»Sie hatten alles im Griff«, sagte Sean. »Sie und Boss Tweed.«
»Unser System«, sagte Love, »war damals
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