Im Rausch der Freiheit
Neapolitanisch an, eine Sprache, die jeder aus dem Mezzogiorno verstand.
Er überprüfte die Namen anhand der Passagierliste und lächelte. »Caruso. Wenigstens hat der Zahlmeister Ihren Namen richtig geschrieben. Manchmal werden die fürchterlich verhunzt.« Er grinste. »Und wir müssen uns ja an das halten, was in der Passagierliste steht. Sind Sie alle hier?«
»Außer meinem Schwager. Ich weiß nicht, wo er ist.«
»Er heißt also nicht Caruso?«
»Nein.«
»Mich interessieren nur Carusos.« Dann stellte der Mann ein paar Fragen, und die Antworten schienen ihn zufriedenzustellen. Hatten sie die Überfahrt aus eigener Tasche bezahlt? Ja. »Und haben Sie in Amerika schon eine Arbeitsstelle?«
»Nein«, hörte Salvatore seinen Vater in bestimmtem Ton sagen.
Salvatore wusste, was es damit auf sich hatte. Giovanni Caruso hatte das seiner ganzen Familie eingeschärft: Obwohl ihm von Onkel Francesco schon eine Arbeit besorgt worden war, durfte das keiner von ihnen verraten, sonst würden ihn die Männer auf Ellis Island zurückschicken. Es gab zwei Gründe für diese seltsame Anordnung, erklärte er. Erstens waren die Vereinigten Staaten an Einwanderern interessiert, die so verzweifelt Geld brauchten, dass sie jede noch so schlecht bezahlte Arbeit annahmen. Und zweitens wollten sie den Menschenhandel unterbinden. Denn es gab padroni, die Arbeit versprachen, einem die Überfahrt bezahlten und sogar mit den Einwanderern auf demselben Schiff fuhren – aber natürlich in der ersten oder zweiten Klasse. Dummköpfe vertrauten diesen Männern, weil sie Landsleute waren. Sie warteten auf sie im Park in der Nähe des Hafens und führten sie zu Unterkünften. Und in kürzester Zeit waren die Neuankömmlinge in der Gewalt dieser Männer, nicht besser als Sklaven, und wurden gnadenlos ausgenommen.
Zufrieden winkte der Mann am Schalter sie durch.
»Willkommen in Amerika, Signor Caruso.« Er lächelte. »Viel Glück.«
Sie gingen durch ein Drehkreuz, dann eine Treppe hinunter und gelangten in den Gepäckaufbewahrungsraum. Hier erhielten sie ein Essenspaket und einen Beutel frisches Obst. Sie fanden ihre Koffer und den großen hölzernen Schrankkoffer. Nichts war gestohlen worden. Salvatore sah zu, wie sein Vater und Giuseppe das Gepäck auf einen Handwagen zu laden begannen. Man sagte ihnen, dass sie ihre Koffer umsonst an jede Adresse in der Stadt liefern lassen konnten, aber Concetta, erleichtert darüber, dass sie bisher nicht bestohlen worden waren, wollte sie nicht wieder aus den Augen lassen.
Immer noch schaute sie sich besorgt nach Onkel Luigi um. Salvatore hingegen wusste, dass er nicht kommen würde.
Plötzlich stieß seine Mutter einen Schrei aus.
»Luigi! Luigi! Hier sind wir!« Sie winkte aufgeregt. Und tatsächlich sah Salvatore seinen Onkel am anderen Ende des Raumes stehen. Lächelnd trat er auf sie zu.
»Onkel Luigi!« Salvatore rannte ihm entgegen. Sein Onkel hatte seinen Koffer in der Hand. Er nahm Salvatore schwungvoll in den freien Arm und trug ihn zu seiner Schwester zurück.
»Wo warst du nur?«, fragte sie. »Wir haben dich nirgendwo gesehen.«
Onkel Luigi stellte Salvatore wieder ab. »Ich bin vor euch durchgekommen. Ich warte seit zehn Minuten hier unten.«
»Gott sei gedankt!«, rief sie aus.
Salvatore war sogar noch aufgeregter. »Sie haben dich nach Amerika reingelassen, Onkel Luigi! Sie haben dich doch noch reingelassen!«
»Natürlich haben sie mich reingelassen. Warum hätten sie mich nicht reinlassen sollen?«
»Na, weil du verrückt bist. Die schicken ja alle Irren zurück.«
»Was ist? Du nennst mich einen Irren?« Onkel Luigi verpasste Salvatore eine Ohrfeige. »Redet man so mit seinem Onkel?« Er wandte sich zu Concetta. »So erziehst du deine Kinder?«
»Salvatore!«, schrie seine Mutter »Was redest du da?«
Salvatore schossen heiße Tränen in die Augen. »Aber das stimmt! Die malen ein Kreuz auf die Irren, und die Doktoren vom Irrenhaus fragen die aus, und dann schicken sie die nach Haus«, protestierte er.
Onkel Luigi holte wieder aus.
»Genug«, sagte Concetta, während Salvatore das Gesicht in ihrem Rock vergrub. »Luigi, hilf Giovanni mit dem Gepäck. Als ob es nicht schon genügend Unglück auf der Welt gäbe! Poverino, er weiß ja gar nicht, was er sagt!«
Ein paar Minuten später flüsterte Salvatore, als er neben seinem Vater stand: »Onkel Luigi hat mich gehauen.«
Aber sein Vater spendete ihm keinen Trost.
»Selber schuld«, sagte er, »wenn du ein
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