Im Rausch dieser Nacht
Grund, warum sie mit ihr zusammengezogen war, war der gewesen, dass keine von beiden sich die Wohnung allein hätte leisten können.
„Um Ihnen den Übergang leichter zu machen …“ Sherri musste sich zwingen, weiter zuzuhören. „… bekommen Sie jetzt noch zwei Wochengehälter ausgezahlt und die Urlaubstage vergolten, die Sie noch nicht in Anspruch genommen haben. Und ich betone noch einmal: Wir zweifeln nicht an Ihren Fähigkeiten. Diese Entscheidung hat einzig und allein wirtschaftliche Gründe“, schloss Horton seinen Vortrag und blickte sich in der Runde um. „Noch irgendwelche Fragen?“
Niemand rührte sich. Schließlich hob Sherri die Hand. „Was ist mit den Aufträgen, die wir augenblicklich bearbeiten? Ich meine, ich habe das Handbuch, an dem ich gerade dran bin, fast fertig, und es müsste nächste Woche in den Druck.“
„Das ist gut gemeint, Sherri, aber lassen Sie es, wie es ist. Das bekommen wir auch so fertig. Sonst noch Fragen?“
Wieder herrschte Schweigen.
„Gut.“ Brad Horton griff in die Innentasche seines Jacketts und holte einen Stapel Umschläge hervor. „Ich rufe jetzt einzeln Ihre Namen auf, und Sie kommen dann bitte nach vorn zu mir und holen sich Ihren Umschlag ab. Wenn Sie ihn erhalten haben, gehen Sie bitte an ihren Arbeitsplatz zurück. Dort wird jemand sein, der Ihnen beim Einpacken Ihrer persönlichen Sachen behilflich ist.“
Behilflich – das war der Gipfel der Demütigungen. Vor den Augen aller Kollegen musste man seinen Schreibtisch ausräumen und hatte dabei noch jemanden im Nacken, der aufpasste, dass man ja keine Büroklammer mitnahm, die der Firma gehörte.
Als ihr Name aufgerufen wurde, kratzte Sherri ihr letztes bisschen Selbstachtung zusammen und ging erhobenen Hauptes und ohne eine Miene zu verziehen nach vorn, um ihren Scheck entgegenzunehmen. Damit kehrte sie dann zurück an ihren Arbeitsplatz.
Als sie dort ankam, hatten alle anderen die Köpfe gesenkt und taten sehr beschäftigt. Sherri konnte es ihren Kollegen nicht einmal übel nehmen. Sie war sich nicht sicher, ob sie es an ihrer Stelle anders gemacht hätte. Wie in Trance suchte sie nach einem Karton und begann, ihre Sachen aus den Schubladen und Fächern zusammenzusuchen: Nachschlagewerke für technische Begriffe, Glückwunschkarten, Kaffeebecher und all den Krimskrams, der sich im Laufe von drei Jahren angesammelt hatte.
Die Kollegin, die ihr zugeteilt war, um ihr behilflich zu sein, verfolgte jede von Sherris Bewegungen und eskortierte sie schließlich noch bis an die Eingangstür. Noch immer halb benommen, eilte Sherri zu ihrem Wagen auf dem Firmenparkplatz. Sie stellte den Karton auf den Rücksitz und setzte sich bei geschlossenen Türen und Seitenscheiben hinter das Steuer, obwohl im Inneren eine Gluthitze herrschte, nachdem der Wagen zwei Stunden in der Sonne gestanden hatte. Es war die einzige Zuflucht, die sie im Moment hatte. Bewegungslos saß sie da und starrte durch die Windschutzscheibe vor sich ins Leere. Ihre Gedanken überschlugen sich.
Was habe ich bloß falsch gemacht? Ich war fast immer pünktlich. Ich habe nie krankgefeiert – im Gegensatz zu manchen anderen. Vielleicht hätte ich doch zu dem Meeting gehen sollen, zu dem ich letzten Monat wegen des Druckter mins nicht gegangen bin.
Andere, noch drängendere Fragen kamen hinzu: Wie soll ich künftig meinen Teil der Miete für die Wohnung tragen? Und die anderen Kosten? Wovon soll ich künftig die Rechnungen bezahlen? Je länger Sherri nachdachte, desto stärker ergriff sie die Panik. Zwar hatte sie sich ein bisschen Geld auf die hohe Kante gelegt, aber natürlich nicht so viel, dass sie längere Zeit ohne eigenes Einkommen über die Runden kommen würde.
Was ihre Eltern ihr hinterlassen hatten, hatte ausgereicht, um ihr College zu bezahlen und sich das kleine Auto leisten zu können, das sie jetzt fuhr. Sie konnte von Glück reden, dass sie weder für den Wagen noch für ihr Studium einen Kredit abstottern musste. Aber trotzdem brauchte sie umgehend einen neuen Job. Aber woher nehmen? Es bedeutete, dass die Ochsentour der Bewerbungen und Vorstellungsgespräche erneut begann. Ihr schauderte bei dem bloßen Gedanken daran.
Entschlossen gab sie sich einen Ruck, ließ den Motor an und stellte die Klimaanlage ein. Schließlich konnte sie nicht den ganzen Tag hier auf dem Parkplatz in ihrem Wagen sitzen. Wenn sie jetzt nach Hause fuhr, war sie zumindest bis zum Nachmittag allein in der Wohnung und konnte sich, bis Joan kam,
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