Im Rausch dieser Nacht
Notaufnahme entkommen zu sein, trat er in einen stillen, verlassenen Flur, der, wie ein Schild ihm anzeigte, zur Intensivstation führte. Hinter einer weiteren Tür mit dem deutlichen Hinweis „Kein Zutritt für Besucher“ entdeckte er das Schwesternzimmer. Die Tür stand offen, und Greg trat ein.
„Sie dürfen sich nicht hier auf der Station aufhalten, Sir“, wurde er sogleich von einer der Schwestern empfangen.
„Ich warte auf Sherri Masterson Hogan, die jeden Augenblick aus dem Operationssaal kommen muss“, erklärte Greg.
Die Schwester sah in ihre Unterlagen. „Ich habe hier nur eine Sherri Masterson“, sagte die Krankenschwester nach einigem Blättern. „Sind Sie ein Angehöriger?“
„Ihr Ehemann.“ Greg blieb bei seiner Notlüge. Merkwürdig, dass Sherri ihren Mädchennamen wieder angenommen hat, dachte er. Aber vielleicht war es doch gar nicht so merkwürdig.
„Wo Sie schon einmal hier sind“, fuhr die Schwester fort, „können Sie uns doch sicher ein paar Auskünfte geben. Uns fehlen noch einige Angaben.“
„Sicher“, entgegnete er schicksalergeben.
Sie ging die ganze Liste der Personalien mit ihm durch.
Sherris Geburtstag, Geburtsort, sogar ihre Krankenversicherung hatte Greg mühelos parat. Als es jedoch zur Wohnadresse kam, stockte er und nannte dann rasch seine eigene. Nachdem die Befragung beendet war, ging er brav ins Wartezimmer der Station. Die Schwester versprach ihm, den Chirurgen zu ihm zu schicken, sobald die Operation beendet war.
Kaum etwas hasste Greg mehr, als tatenlos herumsitzen und warten zu müssen. Dennoch war er entschlossen, nicht von der Stelle zu weichen, bevor er nicht genau wusste, wie es um Sherri stand. Er kam sich dabei ein wenig merkwürdig vor. Immerhin hatte er anderthalb Jahre lang nichts von Sherri gehört. Achtzehn Monate und sechs Tage waren es, um ganz genau zu sein. Sherri hatte ihn ausdrücklich darum gebeten, sie weder anzurufen noch sonst Kontakt zu ihr aufzunehmen, nachdem sie sich getrennt hatten, und Greg hatte dieser Bitte entsprochen. Dann kam die Scheidung. Er war überzeugt gewesen, dass das Kapitel Ehe für ihn abgeschlossen war. Aber wenn er über die Trennung wirklich hinweg war, woher kam dann jetzt diese Panik?
Selbstverständlich war es eine Ausnahmesituation. Sherri schwebte in Lebensgefahr. Der Gedanke daran, dass seine Exfrau mit sechsundzwanzig Jahren sterben sollte, war entsetzlich. Schließlich hatte er sie geliebt. Und heute?
Greg dachte zurück. Während der letzten sechs Monate ihrer dreijährigen Ehe hatten sie sich immer mehr voneinander entfernt. Sherri hatte sich komplett in sich selbst zurückgezogen, und wenn er sie gefragt hatte, warum sie das tat, antwortete sie, er wäre ihr trotz ihrer Ehe fremd geblieben. Nie würde er sich öffnen, sie nie an dem teilhaben lassen, was er dachte oder fühlte. Nach der ganzen Zeit wüsste sie noch immer so gut wie nichts über ihn.
Zugegeben, ganz unrecht hatte sie damit nicht. Aber er gehörte nun einmal nicht zu denen, die gern über sich selbst sprachen – und schon gar nicht über Gefühle. Es fiel ihm einfach schwerer als anderen, sich mitzuteilen.
In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte Sherri ihn immer wieder nach seiner Kindheit, seiner Familie, warum er Cop geworden wäre und nach lauter anderen Dingen gefragt. Greg war sich bewusst, dass er nicht sehr auskunftsfreudig gewesen war. Für ihn waren das Geschichten, die vergangen und abgehakt waren. Anfangs hatte er sich bemüht, Sherri das zu erklären. Aber sie hatte ihn nicht verstanden. Später hatte er es dann aufgegeben.
So kam es, wie es kommen musste. Als er eines Tages nach Hause kam, fand er die Wohnung verlassen vor. Jede Spur von ihr war getilgt. Es war geradezu gespenstisch, so als hätte sie nie bei ihm gewohnt. Die einzig sichtbaren Zeichen, die sie von sich hinterlassen hatte, waren ihre Wohnungsschlüssel, die zusammen mit einer kurzen Notiz und der Visitenkarte ihres Rechtsanwalts auf dem Küchentresen lagen. Sie wolle die Scheidung, stand auf dem Zettel. Wenn er Fragen hätte, sollte er sich an den Anwalt wenden.
Und ob er Fragen hatte. Zum Beispiel wie es angehen konnte, dass sie ihm die ganze Zeit vorwarf, er würde nichts von sich erzählen, und dann selbst ohne Vorwarnung verschwand, sich sogar schon einen Anwalt gesucht hatte, ohne sich die Mühe zu machen, ihm etwas zu erklären.
Er war damals stinksauer auf sie gewesen, hatte aber darauf verzichtet, sich auf eine weitere Auseinandersetzung
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