Im Reich der Löwin
verräterischen Prinz John die Treue hielten.
Vor zwei Tagen war ihr gemeinsamer Halbbruder, König Richard Löwenherz, der Held des Dritten Kreuzzuges, nach über einjähriger deutscher Gefangenschaft in Sandwich eingetroffen. Nach nur wenigen kurzen Zwischenstopps an den Schreinen einiger Heiliger hatte er sich unverzüglich auf den Weg in den Norden gemacht, um seine Herrschaft über England wiederherzustellen. »Aber ich kann es kaum erwarten, in Richards Dienste zu treten«, vollendete er den angefangenen Satz. Henry grinste. »Man sagt, er habe genauso ein furchtbares Temperament wie du«, scherzte er und versetzte dem älteren Bruder einen leichten Schlag in die Rippen, den dieser mit einem schiefen Lächeln quittierte. »Wenn das stimmt, dann möchte ich nicht mit dir tauschen.« Roland hob spöttisch die Mundwinkel. »Dein vergötterter Robin of Loxley soll aber auch nicht zu verachten sein«, zog er den Jüngeren auf, dessen Gespräche sich seit Monaten um nichts anderes als den berüchtigten Gesetzlosen drehten, der in aller Munde als Robin Hood geführt wurde. Ununterbrochen war der schmächtige Knabe seiner Mutter und Geoffrey auf den Nerv gefallen, bis diese ihm schließlich gestattet hatten, seinen Bruder Roland auf dem Weg ins Lager des Königs zu begleiten. Dort sollte Loxley, dessen Bemühungen die schnelle Aufbringung des Lösegeldes für den König zu verdanken war, das offizielle Pardon für seine Vergehen als Robin Hood erhalten. Seit der Gefangennahme des englischen Königs durch den Herzog Leopold von Österreich hatte Roland der Freilassung entgegengefiebert, um endlich als Knappe am Hof aufgenommen zu werden. Und schon bald waren seine Ungeduld und sein Eifer auf den jüngeren Bruder übergesprungen. Auch er grinste Henry an. »Als Beschützer der Armen und Mittellosen soll Robin of Loxley so allerhand Unheil in Sherwood Forest angerichtet haben«, setzte er feixend hinzu.
»Ach!«, winkte Henry verächtlich ab, bevor er sich in den Sattel seines Halbponys schwang und diesem die zottelige Mähne streichelte. »Robin of Loxley ist ein wahrer Edelmann«, schwärmte er und wischte sich mit dem Handrücken eine Strähne des kupferfarbenen Haares aus der Stirn. »Und es wird mir eine Ehre sein, ihm als Page zu dienen.« Nur mühsam ein mitleidiges Schmunzeln unterdrückend musterte Roland die feinen Züge des Knaben, der den Blick bereits halb von ihm abgewandt hatte, um den Horizont zu betrachten. Mit dem rotblonden Schopf und den unverschämt blauen Augen glich er seinem Vater mehr als die anderen Bastarde Henrys II. – des Mannes, der Rolands Mutter zur Empörung Frankreichs zu seiner Konkubine gemacht hatte. Ohne Zögern hatte der impulsive Haudegen die für seinen Sohn, Richard Löwenherz, bestimmte und an seinen Hof geschickte Braut geschwängert. Hätte sich nicht Geoffrey of York, einer der ältesten illegitimen Söhne Henrys II., der jungen Frau angenommen, wäre Rolands Kindheit sicherlich weniger friedlich verlaufen. So hingegen waren er und Henry am bischöflichen Hof in der nordenglischen Stadt York aufgewachsen, wo die schützende Hand ihres mächtigen Halbbruders sie vor den Anfeindungen und Übergriffen machthungriger Neider bewahrt hatte. Außer dem Aussehen der Plantagenets hatte der nach seinem Vater benannte Henry zudem dessen künstlerische Begabung geerbt. Wohingegen Roland, der mit den schwarzen Haaren und blaugrauen Augen eher seiner Mutter nachschlug, lediglich das unselige Temperament des aquitanischen Geschlechtes mit in die Wiege gelegt bekommen hatte. Als er sich mit einer eleganten Bewegung ebenfalls auf den Rücken seines Reittieres zog und es an die Seite seines Bruders lenkte, verstärkte sich der Entschluss, den er bereits vor einigen Tagen gefasst hatte. Er würde auf Henry aufpassen! Wenn sich die Begeisterung des Jüngeren als genauso vergänglich erwies, wie so oft in der Vergangenheit, dann bestand die Gefahr, dass er sich schon bald entweder langweilen oder unbeliebt machen würde. Nicht viele erwachsene Männer konnten das empfindsame Gemüt des Jungen ohne Spott akzeptieren und den messerscharfen Verstand unter der feinen Schale erkennen.
»Los!« Mit der flachen Hand versetzte Roland dem Pony des Bruders einen leichten Schlag auf die Hinterhand und galoppierte an. Wie immer, seit er seinen Falben das erste Mal bestiegen hatte, erstaunten ihn die Kraft und Geschmeidigkeit des gedrungenen Wallachs. Und er hatte alle Hände voll zu tun, dafür zu
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