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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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beobachtete er den trunkenen Flug der aufgebracht schimpfenden Seevögel, die von den immer heftiger werdenden Böen wild hin und her getrieben wurden. Beinahe eine halbe Stunde lang stand er bereits so da und allmählich wurde der junge Mann an seiner Seite nervös. Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, übertrug sich die Furcht des Prinzen auf Guillaume of Huntingdon, der seit der Flucht Johns aus England nicht von dessen Seite gewichen war. Während Richard Löwenherz und Guillaumes älterer Bruder, Harold of Huntingdon, auf dem Kreuzzug ins Heilige Land gewesen waren, hatten sowohl Lackland als auch Guillaume alles daran gesetzt, sich deren Gebiete anzueignen und den Ruf der Abwesenden zu verderben. Wie enttäuscht und verbittert war Guillaume gewesen, als Harold als Held und frisch gebackener Earl of Leicester von dem Zug nach Palästina zurückgekehrt war und seine Hoffnungen auf den Titel eines Earls mit einem kurzen, aber heftigen Gefecht gegen Guillaumes Häuflein abtrünniger Ritter zunichtegemacht hatte. Wie sehr er den Älteren hasste! Eine steile Falte grub sich zwischen seine feinen Brauen. Umsonst schien alles, was er auf sich genommen hatte, um den Traum seiner Mutter – Harolds Stiefmutter – zu erfüllen. Denn trotz der kalten Berechnung, mit der er ihren Vater bei einem Jagdausritt in eine Schlucht getrieben hatte, wo sich der alte Mann beim Sturz vom Pferd den Hals brach, war der damals so verlockend einfach klingende Plan weitgehend gescheitert.
    »Warum will mir nichts gelingen?!« So unvermittelt riss ihn die anklagende Stimme des Prinzen aus den mürrischen Gedanken, dass er zusammenfuhr und sich nur mühsam ein schreckhaftes Blinzeln verkniff. Seine ungewöhnlich roten Lippen verzogen sich zu einem schmeichelnden Lächeln, während die dunklen Augen des erst sechzehnjährigen Junkers versuchten, die Stimmung seines Herrn zu erkunden. Das bartlose Gesicht mit den beinahe mädchenhaften Zügen wirkte trotz der grausamen Linien um den vollen Mund hübsch. Als er leicht die Brauen in die Höhe zog, verlieh ihm dies das Aussehen eines verdutzten Kindes. »Mylord«, hub er an und legte schüchtern die Linke auf die ihm zugewandte Schulter Johns. »Es ist noch nicht alles verloren.« Hätte er mehr vom Blut der Plantagenets in sich gehabt, wäre Lackland bei dieser realitätsverachtenden Bemerkung aufgebraust. Doch da er nur wenig Ähnlichkeit mit seinem jähzornigen Bruder Richard Löwenherz hatte, zuckte er lediglich resigniert die Achseln und wandte Guillaume das ebenfalls bartlose Gesicht zu. In den blaugrünen Augen schwammen Tränen der Wut. »Wenn Philipp von Frankreich dem deutschen Kaiser doch nur ein wenig mehr angeboten hätte!« Seine Stimme erstarb, und er fuhr sich missmutig über das glatt rasierte Kinn. Vergeblich hatte er dem französischen König einen Lehnseid für sämtliche Ländereien auf dem Festland geleistet, die Übergabe des normannischen Gebiets Vexin zugesichert und eine Heirat mit dessen Schwester Alys, die sich in der Obhut Geoffrey of Yorks befand, in Aussicht gestellt. Vergeblich hatte er mit walisischen und flämischen Söldnern einen Invasionsversuch in England unternommen, nur um an seiner Mutter, Aliénor von Aquitanien, und dem mächtigen Lord Chancellor zu scheitern, da beide eine Machtübernahme durch den Prinzen kategorisch ablehnten.
    »Wäre uns nicht dieser verfluchte Robin Hood in die Quere gekommen, dann hätte England das Lösegeld niemals so schnell zusammenbekommen«, erboste er sich mit einem Schnauben. »Und der deutsche Kaiser hätte Philipps Angebot früher oder später annehmen und ihm Löwenherz ausliefern müssen!« Wie praktisch es gewesen wäre, wenn der französische König ihm die Mühe abgenommen und Richard unschädlich gemacht hätte! Dann hätten Lackland und seine Verbündeten unter dem Deckmantel des Gehorsams das Ruder an sich reißen und Löwenherz in aller Stille entmachten können. Seine Bedeutung als Geisel wäre früher oder später so weit zur Unbedeutsamkeit verblasst, dass nicht einmal mehr Philipp von Frankreich sich darum gekümmert hätte, was mit dem königlichen Gefangenen geschah. Dann wäre der Zeitpunkt reif gewesen, eine Handvoll der Prinz John treu ergebenen Söldner auszusenden und die erbliche Belastung, die Richard für ihn darstellte, ohne viel Aufhebens aus der Welt zu schaffen! Erneut starrte er einige Momente lang schweigend auf die tosende See, deren Wellenkämme sich donnernd an der Steilküste

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