Im Reich der Löwin
schmeichelhafter Überzeichnung dabei, wie er an der Seite seines Erzfeindes, Richard Löwenherz, die von den Mauren besetzte Stadt Akkon in Palästina zurückeroberte. Dass Philipp keine zwei Wochen später – im August des Jahres 1191 – erbost durch Richards eigenwillige Auffassung von Beuteteilung noch vor dem Ende des Kreuzzuges den Heimweg angetreten hatte, um Löwenherz widerrechtlich dessen Besitzungen in Frankreich streitig zu machen, schien Jeannes Vater immer wieder zu vergessen. »Und nachdem die Touraine und die gesamte östliche Normandie inzwischen unter Philipps Herrschaft stehen«, fuhr er mit hochrotem Kopf fort, »werde ich, verdammt noch mal, dafür sorgen, dass ich unsere Grenzen sichere!« Er schnaubte verächtlich. »Und glaube ja nicht, dass Löwenherz auch nur einen unnötigen Augenblick verstreichen lässt, um das ihm Entrissene zurückzuerobern!«
Jeanne schluckte mühsam. Ihr war klar, was das bedeutete. Die Gefahr des Gebietsverlustes wog so schwer, dass ein Vater keine Rücksicht auf die Interessen seiner Tochter nehmen konnte. Resigniert senkte sie den Kopf und starrte wortlos auf den mit Goldfäden durchwirkten Saum ihres Rockes, in dem sich ein paar einzelne Strohhalme verfangen hatten. »Lass uns allein«, brummte der untersetzte Graf de Maine mit einem erbosten Ausdruck auf den Zügen und wies auf die Doppeltür, die in das Treppenhaus des stark befestigten Wohnturms hinausführte. Während Verzweiflung, Zorn und bleierne Furcht ihr Schwindel bereiteten, sank Jeanne in einen Knicks, murmelte eine Verabschiedung und ließ mit hämmerndem Herzen das Schloss hinter sich einrasten. Den Tränen nahe, raffte sie den haselnussfarbenen Stoff ihres züchtig geschnittenen Bliauds und eilte die ausgetretenen Stufen hinauf. Oben angekommen stieß sie mit zitternden Händen die Tür zu ihrer Kammer auf, verharrte einige Herzschläge lang reglos im Raum und warf sich schließlich schluchzend auf ihr Bett. Erst langsam drang die volle Bedeutung der Worte in ihr Bewusstsein vor. Die Kälte, die sich von ihrer Magengegend aus in ihrem gesamten Körper ausbreitete, nahm ihr mit jedem Atemzug mehr und mehr die Luft. Mit einem Wimmern schlug sie die Hände vor die Augen und ergab sich dem übermächtigen Gefühl, das ihre Glieder mit bleierner Schwere erfüllte. Der Weinkrampf, der ihren zierlichen Körper schüttelte, wurde immer heftiger. Und schon bald entflohen die rotbraunen, von einem breiten Seidenschapel zusammengehaltenen Locken dem Band und ergossen sich über die Laken, die von den Tränen des jungen Mädchens langsam und unaufhaltsam durchnässt wurden.
Lange Zeit später, als die Sonne bereits den Weg hinter den Horizont suchte und die Fackeln entlang der Festungsmauer entzündet wurden, stemmte sie mit einem letzten Seufzer die Hände in die Kissen, um sich mit schmerzendem Kopf in eine sitzende Stellung zu schieben. Während sie die Beine an den Körper zog und einige feuchte Strähnen aus der Stirn schob, starrte sie blicklos durch den schmalen Fensterschlitz an der gegenüberliegenden Wand und ließ die Gedanken schweifen. Was hatte sie getan, dass ihr Vater sie derart strafen wollte?, fragte sie sich verbittert und ignorierte das ärgerliche Knurren ihres Magens, das sie darauf hinwies, dass sie seit Stunden nichts gegessen hatte. Und warum musste es ausgerechnet dieser alte Bock sein, dessen aufdringliche Blicke in jeder Frau das unwiderstehliche Gefühl auslösen mussten, ein Bad zu nehmen!? Bei der Vorstellung, sich von dem Grafen die Hand küssen zu lassen, überlief Jeanne ein heftiger Schauer des Ekels. Gab es nicht genug junge Männer, an die ihr Vater sie verschachern konnte?, durchfuhr es sie wütend, während sie das Tüchlein, mit dem sie sich die Tränen aus den Augen gewischt hatte, zu einem Ball zusammenknüllte, um es mit einem leisen Laut der Empörung in eine Ecke der Kammer zu pfeffern. Während sich ihre eng geschnürte Brust heftig hob und senkte, grub sie die gespreizten Finger in ihre widerspenstigen Locken und rieb sich die schmerzende Kopfhaut. Sie würde nicht einfach kampflos aufgeben! Mit neuem Mut schwang sie die Beine über den Rand der Matratze, straffte die Schultern und trat auf den winzigen Spiegel zu, welcher den einzigen Luxus in ihrem Gemach darstellte. Sorgfältig flocht sie das seinem Band entflohene Haar zu einem lockeren Zopf, zupfte an den Schnürungen ihres Bliauds und warf ein Tuch über die kastanienfarbene Flut.
Sie wollte sich
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