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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bankl
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Antommarchi sehr persönliche Aussagen, wovon das Wesentliche hier zitiert wird:
    »... Der Kaiser war seit meiner Ankunft zu St. Helena stark abgemagert. Sein Leibesumfang betrug nur mehr den vierten Teil des früheren. Gesicht und Körper waren blass... Die Leber war chronisch entzündet, und die Magenwände waren z. T. von einem krebsartigen Geschwür bedeckt. Ich schnitt das Herz und den Magen heraus und brachte sie in ein silbernes, mit Weingeist gefülltes Gefäß. Hierauf vereinigte ich die getrennten Teile und nähte sie wieder zusammen. …«
    Dies liest sich nun doch ganz anders. Zunächst die Abmagerung, was bei einer Krebserkrankung sicher zutraf. Wichtig ist die Bemerkung über eine chronische Leberentzündung, während der Magenkrebs fast nur nebenbei erwähnt wird. Dieser Bericht stimmt nicht mit dem überein, welchen Antommarchi in seinen Memoiren veröffentlichte. In seinem Buch finden wir die dritte Variante: »in beiden Lungenoberlappen tuberkulöse Kavernen, daneben auch vergrößerte Lymphknoten« - als Todesursache also eine Tuberkulose. Das war natürlich eine kaum verdeckte Anschuldigung der schlechten Aufenthaltsbedingungen in St. Helena und damit eine Schuldzuweisung an die Engländer.
     
    Eine letzte Variante des Obduktionsberichtes bestellte der Gouverneur von St. Helena, Sir Hudson Lowe. Dort steht, nachdem ein Magenkrebs beschrieben wurde:
    »... Alle hier hatten gehört, dass der Tote leberkrank gewesen sein soll, und jeder wartete nun bei der Obduktion darauf, dass dieses Organ krankhafte Veränderungen hatte. Als man daranging, das zu prüfen, drückte sich auf den Gesichtern ängstliche Spannung aus. Dr. Antommarchi machte einen Einschnitt, er glaubte, es würde ein Eiterfluss aus dem Abszess, den man vermutete, kommen; aber es war kein Abszess da, nicht einmal eine
Entzündung, und keine Geschwulst. Die Leber hatte den normalen Umfang und das Lebergewebe war vollständig gesund...«
    Hier wird wieder sehr dezidiert die englische Auffassung verteidigt, aber es ist ja auch eindeutig ein Gefälligkeitsgutachten. Wir stehen also vor der traurigen Erkenntnis, dass keiner der Obduktionsberichte objektiv und emotionslos ist. Trotzdem lassen sich die zwei entscheidende Fragen, um welche es sich bei den politisch-ärztlichen Zwistigkeiten handelte, ganz gut beantworten. Erstens: Woran ist Napoleon gestorben? Eindeutig an einem Magenkarzinom mit schwerer Krankheitssymptomatik während der letzten Monate und schließlich zum Tode führenden inneren Blutungen, wobei das Blut teilweise erbrochen wurde. Man war ja noch hundert Jahre von der Möglichkeit der Bluttransfusion entfernt, und die erste Operation eines Magenkarzinoms erfolgte auch erst ein halbes Jahrhundert später. Es ist müßig zu diskutieren, ob der Krebs auf ein vorher bestehendes Magengeschwür zurückzuführen war - eine solche Entscheidung können wir auch heute noch nicht treffen.
    Die zweite Frage war: Hatte Napoleon auf St. Helena eine Lebererkrankung durchgemacht? Hier hilft uns der völlig neutrale Erlebnisbericht eines jungen Mädchens, Betsy Balcombe, die als 14-jährige bei Napoleons Ankunft mit ihm Freundschaft schloss und bis 1818 auf der Insel blieb. Sie schrieb von einer schweren Krankheit im Frühjahr 1818, mit Entkräftung, geistigem und körperlichem Verfall sowie vor allem einer Veränderung in seinem Äußeren - »sein Gesicht sah aus wie gelbes Wachs«. Dies ist ein eindeutiges Indiz für eine Gelbsucht; ob es tatsächlich eine Leberentzündung, entsprechend unserer heutigen Diagnose Hepatitis war, ist nicht zu entscheiden; hier sind die Grenzen der medizinischen Biografie erreicht. Jedenfalls hat sich die Gelbsucht wieder gegeben und war sicher nicht der maßgebliche Grund für Napoleons Sterben.

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