Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Lebenden übertragen zu können. Eine ganz andere Wurzel hatte die Kopfjägerei in Mitteleuropa um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Es begann in Wien, und es begann mit der Schädellehre des Dr. Franz Joseph Gall (1758-1828). Dieser Dr. Gall behauptete, aus der Form eines Kopfes und unter Berücksichtigung kleinster Vertiefungen oder
Vorwölbungen der Schädelknochen, Rückschlüsse auf geistige und charakterliche Eigenschaften der Menschen ziehen zu können. Seine Vorträge über dieses Thema wurden in Wien vom Publikum gestürmt, jeder wollte von sich selbst, vor allem aber von den anderen wissen, ob dort nicht die Anlage zum Dichter, Musiker, Geschäftsmann oder vielleicht zum Betrüger oder Mörder schlummere. So wurde das Interesse an Totenschädeln in das breite Publikum hineingetragen, die Totengräber machten ausgezeichnete Geschäfte. Ein Anatomieprofessor aus Berlin schrieb 1802, »dass man von den Totengräbern des großen Spitals in Wien schön gebleichte Knochen, gesprengte Köpfe usw. äußerst wohlfeil kaufe, da dergleichen bei dem Anatomiewärter in Berlin sehr teuer ist.« Die Wiener Totengräber hatten diesen Nebenverdienst dringend nötig, denn ihr Gehalt betrug im Jahre 1800 lediglich 8 Gulden jährlich. Um einen Gulden bekam man 2 kg Butter bzw. 5 kg Rindfleisch.
Die Kopfjägerei in Wien zielte vor allem auf die Schädel berühmter Persönlichkeiten:
Der Schädel Haydns wurde gestohlen
Joseph Haydn starb im Alter von 77 Jahren am 31. Mai 1809 in Wien. Es war die Zeit der Napoleonischen Kriege, im allgemeinen Durcheinander der militärischen Besetzung Wiens gelang es wenige Tage nach dem Begräbnis die Leiche heimlich zu exhumieren und den Kopf abzuschneiden. Erst als viele Jahre später die sterblichen Überreste Haydns nach Eisenstadt in die Domäne der Fürsten Esterházy überführt werden sollten, entdeckte man das Fehlen des Schädels. Beim Öffnen des Sarges fand sich nur die Perücke. Der Fürst setzte einen »Finderlohn« aus und bekam prompt - einen falschen Schädel. Wieder einige Jahre später legte der Dieb Joseph Rosenbaum, ein Sekretär von Nikolaus
Fürst Esterházy zwar ein Geständnis ab, vermachte aber testamentarisch den Skelettschädel an Johann Peter, den Verwalter des Provinzalstrafhauses mit der Bitte die Reliquie der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu übergeben. Nach dem Tod von Peter war jedoch das wertvolle Erbstück verschwunden, es ist, wie sich später herausstellte, von Peters Witwe dem Arzt Dr. Haller übergeben worden und von diesem erhielt 1852 der Pathologe Carl Rokitansky den Schädel, den er jahrelang in seinem Museum aufbewahrte. Erst 1895 überreichten die Söhne Rokitanskys das Museumsstück der Gesellschaft der Musikfreunde, wo der Schädel in einer Glasvitrine bis 1954 öffentlich ausgestellt blieb. Erst dann wurden Rumpf und Kopf gemeinsam in einem neuen Sarg in Eisenstadt im Burgenland bestattet, die Irrwege des Schädels waren zu Ende.
Über den Schädel Mozarts wird gestritten
1791 ist Wolfgang Amadeus Mozart in einem »allgemeinen einfachen Grab« beerdigt worden. Niemand hat sich um die Grabstätte gekümmert. 1865, also 70 Jahre später, erklärte Andreas Schubert, der Bruder des Komponisten Franz Schubert, »der Schädel Mozarts befindet sich in den Händen des Kupferstechers Hyrtl.« Dieser war wiederum der Bruder des weltberühmten Anatomen Joseph Hyrtl (1810-1894) und er soll den Schädel von der Totengräberfamilie des St. Marxer Friedhofes erhalten haben. Der Anatom Hyrtl erbte später den Schädel, untersuchte ihn und war von seiner Echtheit überzeugt. Letztendlich schrieb er: »Den Schädel selbst vermache ich hiermit der Stadt Salzburg.« So gelangte der Kopf in den Besitz der Stiftung Mozarteum, wurde zunächst in Mozarts Geburtshaus öffentlich ausgestellt, nach Protesten der Besucher aber wieder weggeräumt. Und dann begann ein Streit der Gutachter und wissenschaftlichen
Experten. Die einen erklärten den Schädel für authentisch, die anderen lehnten diese Beurteilung kategorisch ab. Anlässlich des Gedenkjahres 1991 zum 200. Todestag Mozarts wurde der Schädel mittels der anthropologischen Methode einer Weichteilrekonstruktion nochmals begutachtet. Dieses Verfahren ist seit vielen Jahren in der Kriminalistik und Gerichtsmedizin erprobt und hat sich bewährt. Das Ergebnis war eine verblüffende Ähnlichkeit der Mozart-Porträts mit der Gesichtsrekonstruktion. Die Stiftung Mozarteum erklärte jedoch am 20. November
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