Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
zu Recht, es sei der falsche Augenblick und wir würden später miteinander reden.«
Lysa lächelte. »Manchmal stören zu viele Worte.«
Ihre Lippen fanden sich zu einem langen Kuss.
18. Kapitel
Katraana quälte sich.
Sie schwebte im Niemandsland zwischen Normalität und Irrsinn.
Zeit hatte keine Bedeutung mehr.
Sie versuchte, sich in Träume und Bilder flüchten, aber die ließen sie im Stich. Sie fluchte und weinte, sie jammerte und lachte, sie kratzte sich am Holz des Sarges die Fingernägel aus und hämmerte sich die Knöchel blutig. Bei den Göttern, das schmerzte. Nie hätte sie gedacht, dass ein abgerissener Fingernagel so sehr schmerzen konnte. Und nun hatte sie fünf davon verloren. Sie lutschte an den Fingerspitzen, aus denen Blut troff und ihr heißer Speichel verstärkte den Schmerz noch.
Sie versuchte, einer Elfe würdig zu sterben und merkte, wie schwierig das war, war man sich alleine überlassen.
Hin und wieder fiel sie in einen kurzen Schlaf, mehr ein Abtauchen in die Ruhe, bevor ihr Verstand endgültig zerbrach. Sie litt grauenvoll, wie der Magus es ihr vorausgesagt hatte. Hatte er das? Oder war das ihrer Interpretation seiner Worte?
Sie erwachte und eine muffige Brise wehte über sie. Sie erkannte, dass es ihre eigenen Ausdünstungen waren. Der Geruch von Angst und Endgültigkeit. Das alles hatten also Gwenael und die Schwarzen Wanderer ertragen? So waren sie nach Unterwelt gekommen? Ein teurer Preis, den sie gezahlt hatten. Manche waren zurückgekehrt und Katraana wunderte sich nicht, dass sie früher oder später dem Wahnsinn verfallen waren. Was sie durchlitt, würde sie ein für alle mal verändern. Sie würde nie wieder dieselbe sein.
Am schlimmsten war die Dunkelheit, nein – am schlimmsten war die Stille. Eine Stille, die derart laut war, dass sie sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Jeder ihrer Atemzüge, jedes Pochen ihres Herzens donnerte gegen die Wände des Sarges wie ein Gewitter. Über ihr Erde, neben und unter ihr Erde. Ein Niemandsland, ein Ort, den sie nicht mit Unterwelt gleichsetzte, sondern mit einem Begriff, den die Menschen geprägt hatten: Die Hölle!
Sie hatte keine Begrifflichkeit der Hölle.
Dieser Ort gehörte nicht zu ihrer Religion, doch sie konnte sich diesen Ort vorstellen. Als einer Steigerung jeglichen Leidens, als einen Ort der unendlichen Verdammnis. Ein Ort, der einen umschloss wie ein Sarg. Wie eine Holzkiste, die schon jetzt Opfer der Würmer und Maden wurde. Maden, die sie gebären würde, was nicht mehr lange dauerte, denn bald würde die Luft sich mit ihrem Atem schwängern. Dann würde sie bewusstlos werden und irgendwann aufhören zu atmen.
Das wusste sie, denn so hatte man es sie gelehrt. In kleinen Räumen gab es nur eine gewisse Menge Atemluft, sagten die Blinden Magister, die übergreifend alle Völker belehrten. Irgendwann war diese aufgebraucht. Sie fragte sich, woher diese klugen Männer das wussten? Hatten sie es ausprobiert? Doch sie konnte es sich vorstellen. Es schien logisch zu sein.
Es war warm wie in einem Bauch.
Wie im Mutterleib.
Sie hätte viel dafür gegeben, die Knie an die Brust zu ziehen. Alles in ihr schrie danach. Wer erwartete, in diesem Leib auf dem Rücken ausgestreckt zu liegen? Wer war so grausam?
Ihre Instinkte riefen, brüllten, schrien danach, sich auf die Seite zu legen, die Beine anzuwinkeln, den Daumen in den Mund zu stecken.
Mutterleib.
Wärme.
Sie schwamm in einer halbklaren Flüssigkeit. Sie atmete, weil eine Verbindung, irgendwo war sie, sie am Leben hielt. Sie war schwerelos. Sie hatte die Knie angezogen und sie betrachtete ihren Daumen, ohne ihn zu erkennen. Es war friedvoll, warm und sie wollte hier sein, für immer hier sein. Sie vernahm Stimmen, doch diese Stimmen waren weit entfernt, drangen nur als Laute zu ihr hin. Sie schwamm und atmete, sie fühlte sich mit sich im Reinen und konnte unter Wasser gucken. Nein, das konnte sie nicht. Ihre Augen waren blind, aber das machte nichts, denn sie spürte jede Empfindung ihrer Umhüllung, deshalb war es wie Sehen. Dieses Spüren gaukelte ihr Bilder vor, die sie nicht begriff, doch auch das war nicht wichtig. Wichtig war der Frieden. Sich aufgehoben fühlen, eins mit dem, was einen umgab. Eine heimische Höhle, in der sie wuchs und gedieh. Nein, sie wollte nicht mehr wachsen und gedeihen. Sie wollte hier bleiben. Sie wollte diesen Ort nicht verlassen.
Mutterleib!
Und hinausgezerrt ans Tageslicht. Herausgezerrt
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