Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
sich, dass die Drachen – es waren nur zwei, wo war der Dritte? – in das Meer getaucht waren. Ihr Instinkt brüllte: Atme! Ihre Vernunft widersetzte sich und flüsterte: Halt den Atem an !
Was dann geschah, würde sie nie wirklich begreifen und erneut schien es ihr, als habe das nicht stattgefunden. Es war viel zu – unwirklich!
Sie schossen in die Tiefe. Der Druck auf ihren Körper, auf ihren Kopf, auf ihr Gehirn, nahm zu. Ihr wurde schwarz vor Augen, dann wehrte sie sich. Sie riss die Augen auf und was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Sie wollte schreien, nur schreien, aber sie brachte keinen Ton raus. Ihr Körper fühlte sich an wie in Eiswasser getaucht, noch nie hatte sie eine derartige Angst gefühlt. Nein, es war nicht nur Angst, es war Grausen, Bestürzung, ein Entsetzen, welches sie nach wie vor lähmte.
Ich bin doch nur ein kleines Mädchen!
Bitte, bitte, lasst mich los!
Bitte tut mir nichts zuleide!
Fassungslos erlebte sie einen Alptraum, wie er schlimmer nicht sein konnte.
Sie befanden sich in einem Strudel, in der Mitte eines Tornados. Im stillen Auge des Taifuns. Um sie herum Wasserwände, die kreiselten und in allen Farben leuchteten, in der Mitte ein Hohlraum, in dem sie atmen konnte. Bluma war nicht fähig, sich zu regen. Die Krallen hielten sie fest, weiche, lederige Haut, die sich um ihren Körper schlang. Es ging abwärts, diesmal jedoch ohne Druckveränderung. Dafür schienen sie bald den Mittelpunkt der Welt zu erreichen. Der Wirbel wurde durchsichtig und dahinter schoben gruselige Meeresfische, Kreaturen der Tiefe, ihre mehräugigen Fratzen gegen die Wand, welche sich mit einem Mal öffnete.
Nun werde ich ertrinken!, erfasste Bluma.
Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie würde einfach aufhören zu atmen. Sie würde die Augen schließen und aufhören zu leben. Das Grauen verstärkte seinen Griff und Bluma merkte, dass es sie schüttelte wie einen Busch im Herbststurm.
Aber es drang kein Wasser ein, vielmehr veränderte sich der Wirbel und wurde zu Stein. Sie schossen auf eine Art Tor zu, vor dem Wesen kauerten, wie sie sie nie zuvor gesehen hatte, nicht einmal in ihren tiefsten Ängsten.
Das Tor wurde geöffnet, sie schwebten zwischen Wänden, in denen Fratzen hausten, weit aufgerissene Augen, gurgelnde Mäuler, Schnabeltiere, warzige Gestalten – und sie alle bettelten um Hilfe, summten und säuselte, veränderten ihre Gestalt, metamorphosieren zu Schleim und zurück in Visionen, wie sie nur ein kranker Geist erdenken konnte.
Glitschige Finger reckten sich ihnen entgegen, eine Wand der Verlorenen, Hoffenden, Eingesperrten. Handelte es sich um gefangene Seelen? Oder um Wartende, die ihrer Aufgabe zugeführt werden mussten?
Aus Furcht wurde Interesse. Würden die Drachen sie verspeisen? Würden die Klauen sie zerreißen, Stück für Stück? Auf einer schwach blinkenden Geistesebene wusste sie, dass ihre Ruhe nicht normal war, sondern die Betäubung ihrer überreizten Nerven. Ihre Furcht war so allumfassend, dass sie einen gnädigen Mantel über ihre Wahrnehmung legte.
Ich will nach Hause!
Zurück zu meinem Bobba und meiner Bamma!
Was Bluma über Drachen wusste, war nur so viel, wie ihr Bobba es in den Liedern gesungen hatte. Sie wusste, dass ein Drache Feuer speien konnte, dass er Flügel hatte und mit krallenbewehrten Pranken versehen war. Es gab Lieder, in denen wurde gesungen, ein Drache sei ein Feind und könne nur durch einen Helden besiegt werden, was diesem zu unermesslichen Reichtum verhelfe. Diese Lieder waren spannend und endeten stets mit dem Sieg des Helden.
Und es gab Lieder, die genau das Gegenteil vermittelten. Ein Drache sei ein Glückbringer, ein weises Wesen, der seinen feurigen Schlund und seinen giftigen Atem nur gegen jene einsetzten, die ihn bedrohten. Er sei schrecklich und schön, edel und furchterregend. Jedes Lied wollte etwas anderes wissen, somit wusste niemand etwas genaues.
Sie rasten durch Gänge, und vielleicht kam ihr die Zeit langsamer vor, als sie in Wirklichkeit war. Der Gang öffnete sich und sie flogen in eine Halle, die alles übertraf, was die junge Barb jemals gesehen hatte. Die Halle war so hoch, dass sich unter ihrem Gewölbe Wolken bildeten, und erstreckte sich in alle Richtungen so weit, dass sie nicht sehen konnte, wo sie endete. Rechts und links der Höhle gab es Behausungen, winzige Ansiedlungen aus Stein, Holz und Stroh. Weiter entfernt ragte eine Festung hoch, die von Wasser umgeben war. Stalaktiten
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