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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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her, jeder in seine Gedanken vertieft. Sie kamen an einem Mann mit einem Hund und zwei kleinen Jungs vorbei: der eine hatte einen Reifen, der andere einen Kreisel, für den er eine ebene Stelle suchte, um ihn tanzen zu lassen. Eine junge Frau musterte Monk bewundernd von Kopf bis Fuß; ihr Begleiter schmollte.
    Schließlich war es Hester, die das Gespräch wieder aufnahm.
    »Haben Sie denn etwas in Erfahrung gebracht?«
    »Was?«
    »Ob Sie etwas in Erfahrung gebracht haben?« wiederholte sie.
    »Sie müssen doch etwas gemacht haben die ganze Woche über! Was haben Sie herausgefunden?«
    Er grinste plötzlich übers ganze Gesicht, als amüsiere ihn dieses Verhör. »Ich nehme an, Sie haben wohl nicht weniger Anrecht darauf als ich«, räumte er ein. »Ich habe Erkundigungen über Mr. Taunton und Miss Nanette Cuthbertson eingezogen. Die junge Frau ist entschlossener, als ich vermutet hatte. Und sie schien von allen das beste Motiv gehabt zu haben, Prudence loswerden zu wollen. Prudence stand zwischen ihr und ihrer Liebe, Respektabilität und dem Familienstatus, den sie sich mehr als alles in der Welt wünscht. Die Zeit wird langsam knapp für sie – sehr knapp.« Sie waren vorübergehend in den Schatten der Bäume getreten, und er steckte die Hände in die Taschen. »Sie ist achtundzwanzig, wenn auch nach wie vor bemerkenswert hübsch. Ich kann mir gut vorstellen, daß sie langsam in Torschlußpanik gerät, und zwar durchaus schlimm genug, um für eine Gewalttat zu reichem. Wenn ich nur dahinterkommen könnte, wie sie es angestellt hat«, sagte er nachdenklich. »Sie ist kleiner als Prudence, gut fünf Zentimeter, und eher schmächtig. Und selbst mit dem Kopf in den Wolken der Gelehrsamkeit hätten Prudence Nanettes Gefühle unmöglich entgehen können.«
    Hester wollte ihm schon bissig antworten, daß achtundzwanzig wohl kaum steinalt und Nanette Cuthbertson selbstverständlich noch hübsch sei! Und das auch noch gut und gerne zwanzig Jahre bleiben könnte! Aber sie hatte einen lächerlichen Kloß im Hals, und die Worte blieben ungesagt. Es spielte kaum eine Rolle, ob achtundzwanzig alt war oder nicht, wenn es ihm alt schien! Man kann jemandem solche Ansichten nicht ausreden.
    »Hester?« Er sah sie mit gerunzelter Stirn an.
    Hester starrte geradeaus vor sich hin und machte sich wieder auf den Weg. »Möglich wäre es durchaus«, erwiderte sie dann energisch. »Vielleicht schätzte sie mehr die inneren Werte: Humor, Mut, Integrität, Intelligenz, Mitgefühl, Kameradschaft, Phantasie, Ehre – alles, was nicht mit dem dreißigsten Geburtstag verschwindet!«
    »Um Himmels willen, benehmen Sie sich doch nicht wie eine Idiotin!« sagte er erstaunt, als er wieder neben ihr ging. »Wir sprechen hier doch nicht von Werten! Wir sprechen hier von Nanette Cuthbertsons Liebe! Sie will Geoffrey Taunton heiraten, eine Familie gründen! Was hat das mit Intelligenz, Mut oder Humor zu tun! Was ist denn los mit Ihnen? Laufen Sie doch nicht so, sonst fallen Sie womöglich noch hin! Sie will Kinder – keinen Heiligenschein! Sie ist eine ganz und gar normale Frau. Ich hätte Prudence für klug genug gehalten, das zu erkennen. Aber wenn ich Sie so höre, war dem ja vielleicht gar nicht so. Sie scheinen das nicht zu sehen.«
    Hester öffnete schon den Mund, um ihm zu widersprechen, aber es gab keine logische Antwort darauf; sie wußte einfach nicht, was sie hätte sagen sollen.
    Er schritt schweigend neben ihr her und schlug hin und wieder nach einem Stein auf dem Weg.
    »Ist das alles, was Sie gemacht haben?« sagte sie schließlich.
    »Was?«
    »Haben Sie nichts weiter entdeckt, als daß Nanette ein gutes Motiv, aber, soweit Sie feststellen konnten, keine Möglichkeit hatte?«
    »Natürlich nicht!« Er traf einen weiteren Stein. »Ich habe mir Prudence’ Vergangenheit angesehen, ihre Fähigkeiten als Krankenschwester, ihre Kriegsakte, alles, was mir nur einfallen wollte. Alles ausgesprochen interessant und bewundernswert, aber nichts davon deutet auf ein spezielles Motiv für einen Mord – oder auf jemanden, dem daran etwas gelegen haben könnte. Daß ich keine offiziellen Befugnisse habe, schränkt mich etwas ein.«
    »Na, und wessen Schuld ist das wohl?« sagte sie scharf, wünschte sich aber sofort, sie hätte geschwiegen – aber der Teufel sollte sie holen, wenn sie sich entschuldigte!
    Wieder gingen sie hundert Meter schweigend nebeneinander her, bis sie wieder an der Doughty Street angelangt waren. Sie verabschiedete sich mit

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