Im Schatten der Gerechtigkeit
überflüssigerweise hinzu.
»Unbedingt«, pflichtete er ihr bei. »Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen, Miss. Sie hatte also einen Verehrer während ihrer Zeit auf der Krim. Das war im Grunde alles, was ich von Ihnen wissen wollte. Sie dürfen sich wieder an Ihre Arbeit machen.«
»Ich habe nicht gearbeitet«, sagte sie bissig. »Ich habe geschlafen! Ich habe die ganze Nacht bei einem Patienten gewacht.«
»Ach, tatsächlich?« Ein Funke schrägen Humors blitzte in seinen Augen auf. »Da bin ich ja froh, daß ich Sie nicht von etwas Wichtigem abgehalten habe.«
So wütend sie auch war, sie fand das sympathischer, als wenn er plötzlich unterwürfig geworden wäre.
Tags darauf traf sie sich mit Monk auf dem Mecklenburgh Square, dem so viele Erinnerungen an Mord, Schuld und Geheimnisse anhaften. Die drückende Hitze wirkte zermürbend, und sie war dankbar für den Schatten der Bäume. Sie gingen Seite an Seite; er hatte einen Stock dabei, als befände er sich auf einem Verdauungsspaziergang, sie trug ein Kleid aus blauem Musselin, dessen weite Röcke über das Gras am Rande des Weges wischten. Sie hatte ihm bereits von ihrer Begegnung mit Jeavis erzählt.
»Daß Geoffrey Taunton da war, wußte ich bereits«, sagte er, als sie fertig war. »Er hat es selbst zugegeben. Ich nehme an, man hat ihn gesehen, zumindest einige der Schwestern.«
»Oh.« So unvernünftig es auch sein mochte, aber sie war furchtbar enttäuscht.
»Aber daß die Leiche keinerlei Kampfspuren aufwies, ist sehr interessant«, fuhr er fort. »Das wußte ich nicht! Jeavis wird mir nicht das geringste sagen, was ich für durchaus natürlich halte. Das würde ich an seiner Stelle auch nicht. Aber es sieht ganz so aus, als hätte er das noch nicht einmal Evan gesagt.« Unbewußt beschleunigte er seine Schritte, obwohl sie nur im Kreis um den Platz spazierten. »Das bedeutet also, wer immer es gewesen ist, muß sehr kräftig sein. Eine schwache Person könnte sie nicht erwürgt haben, ohne daß es zum Kampf gekommen wäre. Außerdem hat sie den Betreffenden wahrscheinlich gekannt und nichts dergleichen erwartet. Ausgesprochen interessant. Daraus ergibt sich eine ausgesprochen wichtige Frage.«
Sie zügelte ihre Neugier. Aber dann sah sie es mit einemmal selbst und sprach es aus, noch während sich der Gedanke formte. »War das Ganze womöglich geplant? Ist er – oder sie in der Absicht gekommen, sie zu ermorden? Oder hat Prudence etwas gesagt, über dessen Bedeutung sie sich nicht bewußt war?
Hat das einen plötzlichen Angriff ausgelöst?«
Überrascht sah er sie an, seine Züge hellten sich auf und brachten, wenn auch widerstrebend seine Anerkennung zum Ausdruck. »Exakt.« Er schlug mit dem Stock nach einem Stein auf dem Weg und verfehlte ihn. Er fluchte und erwischte ihn mit dem zweiten Schlag so, daß der Stein gut zwanzig Meter durch die Luft flog.
»Geoffrey Taunton?« fragte sie.
»Unwahrscheinlich.« Er erwischte einen weiteren Stein. »Sie stellte keine Bedrohung für ihn dar. Jedenfalls nicht, soweit wir wissen. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie so eine Bedrohung aussehen sollte. Nein, wenn er sie ermordet hat, dann nur im Affekt. Nur, wenn ihm bei einem Streit die Gäule durchgegangen sein sollten. Sie haben sich zwar an jenem Morgen gestritten, aber sie war danach noch am Leben. Er könnte zwar noch einmal zurückgekommen sein, aber das halte ich für unwahrscheinlich.« Er sah sie neugierig an. »Was halten Sie denn von Kristian Beck?«
Sie kamen an einer Nurse mit einem kleinen Kind im Matrosenanzug vorbei. Irgendwo in der Ferne spielte ein Leierkasten, dessen Melodie ihr vertraut schien.
»Ich habe ihn bisher kaum zu Gesicht bekommen«, antwortete sie. »Aber was ich gesehen habe, gefällt mir.«
»Mich interessiert nicht, ob Sie ihn sympathisch finden oder nicht!« sagte er eisig. »Ich möchte wissen, ob er Prudence ermordet haben könnte.«
»Sie meinen, mit dem Tod seines Patienten in jener Nacht könnte etwas nicht gestimmt haben? Das bezweifle ich. Viele Leute sterben unerwartet. Da denkt man eben noch, sie seien auf dem Weg der Besserung, im nächsten Augenblick sind sie tot. Wie auch immer, wie sollte Prudence wissen, daß da etwas nicht stimmte? Wenn er in ihrem Beisein einen Fehler gemacht hätte, dann hätte sie das gleich gesagt und ihn korrigiert. Aber er wurde ja nicht in jener Nacht operiert.«
»Das hat nichts mit jener Nacht zu tun!« Er nahm sie am Ellenbogen, um sie aus dem Weg eines Mannes zu
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