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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das war er, ganz genau«, sagte sie und tat erleichtert.
    »Ist er das?«
    »Das geht Sie nichts an! Sie hat es also mit sich herumgetragen, ja? Hört sich an, als kannte sie ihn ziemlich gut. Ich nehme an, sie hat Briefe bekommen?«
    »O ja, jedesmal wenn Post aus England kam. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß Mr. Taunton in London lebte?«
    »Tat er auch nicht«, gab er zu. »Aber es gibt schließlich Züge, und man kann kommen und gehen, wann man will. Die Fahrt nach Ealing dauert höchstens eine Stunde, wenn überhaupt. Im Krankenhaus aus und ein zu gehen ist kein Problem. Ich werde mich mit Mr. Taunton wohl doch etwas eingehender unterhalten müssen.« Er schüttelte finster den Kopf. »Einer der so aussieht, müßte doch auch anderen Damen gefallen. Komisch, daß er nicht Schluß gemacht hat mit ihr, noch nicht einmal, als sie hier angefangen hat und offensichtlich fest entschlossen war hierzubleiben.«
    »Mit der Liebe ist das so eine Sache«, sagte Hester spitz. »Es mögen zwar eine ganze Menge aus anderen Gründen heiraten, aber es gibt auch einige, bei denen es aus Liebe sein muß. Vielleicht ist Mr. Taunton einer von denen?«
    »Sie haben eine ausgesprochen spitze Zunge, Miss Latterly«, sagte Jeavis mit einem scharfen, aufmerksamen Blick in ihr Gesicht. »War Miss Barrymore auch so? Unabhängig und ein bißchen giftig, ja?«
    Hester starrte ihn an. Es war keine angenehme Beschreibung.
    »Ich hätte mich anders ausgedrückt, aber im wesentlichen denke ich, ja. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie von einer eifersüchtigen Frau umgebracht worden sein soll. Die Art Frau, die sich in Mr. Taunton verliebt, hätte mit Sicherheit nicht die Kraft, sie zu erwürgen. Prudence war groß und keinesfalls schwach. Hätte es da nicht zum Kampf kommen müssen? Und dann müßte besagter Jemand doch Spuren aufweisen, wenigstens Kratzer oder blaue Flecken?«
    »O nein«, antwortete Jeavis rasch. »Zu einem Kampf ist es nicht gekommen. Es muß alles sehr rasch gegangen sein. Nur zwei kräftige Hände um ihren Hals.« Er machte eine rasche, brutale Geste, als wolle er beide Fäuste ballen, und seine Lippen verzogen sich vor Abscheu dabei. »Und schon war alles vorbei. Mag sein, daß sie eine Hand gekratzt hat, vielleicht sogar den Hals oder das Gesicht. Aber sie hatte weder Blut an den Nägeln noch sonst etwas, keine Kratzer, keine blauen Flecken, nichts. Es gab keinen Kampf. Wer immer es gewesen ist, sie war nicht darauf gefaßt.«
    »Natürlich haben Sie recht, Inspektor.« Hester verbarg ihren Triumph hinter Demut und niedergeschlagenen Augen. Ob Monk wohl wußte, daß es nicht zu einem Kampf gekommen war? Das war vielleicht etwas, was er selbst nicht herausbekommen hatte. Sie weigerte sich, an die menschliche Seite dieses Umstands zu denken.
    »Wenn es eine Frau war«, fuhr Jeavis fort, die Brauen tief über die Augen gezogen, »dann war es eine starke Frau mit kräftigen Händen, eine gute Reiterin zum Beispiel. Mit Sicherheit war es keine feine Dame, die nie etwas Größeres als eine Kuchengabel in der Hand gehabt hat. Und Sie dürfen den Überraschungseffekt nicht unterschätzen. War sie tapfer, Ihre Miss Barrymore?«
    Schlagartig war Prudence’ Tod wieder Wirklichkeit.
    »Ja… ja, tapfer war sie«, sagte Hester mit stockender Stimme. Sie verdrängte die Erinnerungen: Prudence’ Gesicht im Schein der Lampe, die Chirurgensäge in der Hand. Prudence in ihrem Bett in Skutari, beim Schein einer Kerze über eine medizinische Abhandlung gebeugt.
    »Hmmm«, machte Jeavis nachdenklich, sich ihres inneren Aufruhrs nicht im geringsten bewußt. »Ich frage mich, warum sie wohl nicht geschrien hat. Man möchte doch meinen, daß man in so einem Fall schreit, oder nicht? Würden Sie nicht schreien, Miss Latterly?«
    Hester blinzelte sich die Tränen aus den Augen. »Ich weiß nicht«, sagte sie aufrichtig. »Wenn ich der Situation nicht gewachsen wäre.«
    Jeavis machte große Augen. »Das ist ja wohl etwas albern, Miss? Ich meine, wenn Sie jemand angreift, wären Sie kaum in der Lage sich zu verteidigen, oder? Miss Barrymore jedenfalls war es nicht. Und hier scheint mir nicht so viel Lärm zu herrschen, daß ein lauter Schrei nicht zu hören wäre.«
    »Dann erfolgte der Angriff eben sehr schnell!« sagte Hester scharf. Sie verübelte ihm seine Worte nicht weniger als den abschätzigen Ton. Zu sehr glichen ihre Gefühle einer offenen Wunde. »Was auf jemand sehr Starkes schließen läßt«, fügte sie

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