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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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auch nur den geringsten Anlaß zu Kummer und Sorge gegeben.« Sie atmete tief ein und lächelte Rathbone milde an.
    »Sie müssen wissen, daß er ganz und gar seinem Beruf ergeben ist. Er hat kein Interesse an Zuneigung dieser Art. Er liebt seine Familie, er hat es gern bequem, und er hat es nicht gern, wenn Sie verstehen, was ich meine, sich um seine Mitmenschen bemühen zu müssen.« Sie lächelte entschuldigend und sah Rathbone dabei an, um sonst niemanden anblicken zu müssen.
    »In gewisser Weise könnte man wohl sagen, er ist faul, aber er steckt eben all seine Energie in die Arbeit. Er hat so vielen Menschen das Leben gerettet – und das ist sicher wichtiger, als anderen zu schmeicheln und Höflichkeiten auszutauschen oder all die anderen kleinen Spiele, die die Etikette so vorschreibt. Nicht wahr?« Sie bat ihn damit um eine Bestätigung, und er war sich bereits der beifälligen Geräusche aus dem Publikum bewußt: Flüstern, ein Rutschen hier, ein Nicken da, ein beifälliges Murmeln.
    »Ja, Lady Stanhope, ich denke, das ist es«, sagte er sanft.
    »Und ich bin sicher, es gibt Tausende von Leuten, die Ihnen da zustimmen werden. Ich glaube nicht, daß ich noch weitere Fragen habe, aber mein verehrter Herr Kollege hat womöglich noch welche. Wenn Sie also bitte bleiben würden, nur für den Fall.«
    Er ging langsam an seinen Platz zurück und begegnete dabei Lovat-Smiths Blick. Er wußte, daß dieser bereits abwägte, was er durch eine Befragung Lady Stanhopes zu gewinnen oder verlieren hatte. Sie hatte die Sympathien der Geschworenen. Wenn es den Anschein hatte, er bringe sie in Verlegenheit oder gar aus der Fassung, dann könnte das seine Position gefährden, selbst wenn er ihre Aussage diskreditierte.
    Lovat-Smith stand auf und trat mit einem Lächeln vor den Zeugenstand. Demut war ihm nicht gegeben, aber er war sehr charmant. »Lady Stanhope, auch ich habe kaum Fragen an Sie und werde Sie nicht lange aufhalten. Sind Sie jemals im Königlichen Armenspital gewesen?«
    Sie sah ihn überrascht an. »Nein – nein, das hatte ich glücklicherweise nie nötig. Meine Kinder kamen alle zu Hause zur Welt, und eine Operation hatte ich nie nötig.«
    »Ich dachte auch eher an einen privaten Besuch, Madam, nicht als Patientin. Vielleicht aus Interesse am Beruf Ihres Mannes?«
    »O nein, nein. Ich glaube nicht, daß das angebracht wäre.« Sie schüttelte den Kopf und biß sich auf die Lippe dabei. »Mein Platz ist zu Hause, bei meiner Familie. Der Arbeitsplatz meines Gatten ist kein… kein passender…« Sie verstummte, unsicher, was sie dem noch hinzufügen sollte.
    »Ich verstehe.« Lovat-Smith wandte sich etwas zur Seite, warf einen Blick auf die Geschworenen und sah dann wieder Lady Stanhope an. »Haben Sie Schwester Prudence Barrymore jemals kennengelernt?«
    »Nein.« Wieder war sie überrascht. »Nein, natürlich nicht.«
    »Wissen Sie etwas über die Art und Weise, in der eine geschulte Schwester gewöhnlich mit einem Arzt bei der Pflege eines Patienten zusammenarbeitet?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Vorstellung davon. Das heißt… ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich kümmere mich um Heim und Kinder.«
    »Selbstverständlich, und das ist auch höchst lobenswert«, pflichtete ihr Lovat-Smith mit einem kleinen Nicken bei. »Es ist Ihre Berufung, und Ihre Fertigkeiten entsprechen ihr.«
    »Ja.«
    »Sie sind also nicht wirklich in der Lage zu beurteilen, ob die Beziehung Ihres Gatten zu Miss Barrymore ungewöhnlich oder persönlich war oder nicht?«
    »Nun – ich…« Ihr war sicherlich nicht wohl in ihrer Haut.
    »Ich… ich weiß nicht.«
    »Es gibt auch nicht einen Grund, warum Sie sollten, Madam«, sagte Lovat-Smith leise. »Ebensowenig wie jede andere Dame Ihres Standes. Ich danke Ihnen. Das ist alles, was ich Sie fragen wollte.«
    Ein erleichterter Ausdruck legte sich über ihr Gesicht, und sie sah zu Sir Herbert hinauf. Der lächelte ihr kurz zu.
    Rathbone stand wieder auf. »Lady Stanhope, mein verehrter Herr Kollege hat darauf hingewiesen, daß Sie nichts über das Krankenhaus wissen, den medizinischen Alltag nicht kennen. Aber Sie kennen Ihren Gatten und seine Persönlichkeit, und das seit fast einem Vierteljahrhundert?«
    Sie sah ihn erleichtert an. »Ja, ja, das stimmt.«
    »Und er ist ein guter, treuer und liebevoller Gatte und Vater, aber er ist seinem Beruf ergeben, auf gesellschaftlichem Parkett nicht eben gewandt, weder ein Mann, der den Damen gewogen ist,

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