Im Schatten der Gerechtigkeit
Monk!«
Er fand Julia im Damenzimmer beim Briefeschreiben. Als er hereinkam, blickte sie auf, ihr Gesicht von der Erwartung belebt. Er verabscheute die Notwendigkeit, sie zu belügen: Sein Stolz machte es ihm grundsätzlich schwer, eine Niederlage einzugestehen, und diesmal war es um so bitterer, hatte er den Fall doch gelöst.
»Tut mir leid, Mrs. Penrose, aber ich habe das Gefühl, den Fall bis an die Grenze des mir Möglichen verfolgt zu haben. Die Sache weiter zu betreiben wäre eine Verschwendung Ihrer Mittel…«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein, Mr. Monk«, unterbrach sie ihn rasch und legte ihre Feder beiseite. »Und ich betrachte es keinesfalls als Verschwendung.«
»Ich versuche Ihnen damit nur zu sagen, daß ich nicht mehr in Erfahrung bringen kann.« Es fiel ihm nicht leicht, das zu sagen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals davor zurückgeschreckt zu sein, jemandem die Wahrheit zu sagen, so häßlich sie auch sein mochte. Vielleicht wäre es zuweilen besser gewesen. Es war eine andere Seite seines Charakters, die anzusehen vermutlich schmerzhaft wäre.
»Woher wollen Sie das wissen?« widersprach sie ihm, und ihre Züge versteiften sich. »Oder wollen Sie etwa sagen, Sie glauben nicht, daß man Marianne Gewalt angetan hat?«
»Nein, das möchte ich nicht«, sagte er scharf. »Ich glaube, das steht außer Frage, aber wer immer es gewesen ist, war hier fremd, und wir haben keine Möglichkeit mehr, ihn jetzt noch zu finden, da ihn weder Ihre Nachbarn gesehen haben noch irgendwelche Indizien auf seine Identität weisen.«
»Aber irgend jemand muß ihn doch gesehen haben!« insistierte sie. »Er kam doch nicht aus dem Nichts! Vielleicht war es ja gar kein Herumtreiber, sondern ein Gast in einem der Nachbarhäuser?« Die Herausforderung in Stimme und Augen war nicht zu übersehen.
»Der über die Mauer gestiegen ist, um etwas anzustellen?« fragte er und versuchte seinen Sarkasmus so gut es ging zu unterdrücken.
»Machen Sie sich nicht lächerlich!« sagte sie scharf. »Er muß durch den Kräutergarten gekommen sein, als Rodwell einen Moment weg war. Vielleicht hat er das Haus verwechselt und gedacht, es gehöre einem Bekannten.«
»Und fand dabei Miss Gillespie in der Laube und überfiel sie.«
»Es hat immerhin den Anschein! Ja!« pflichtete sie ihm bei. Wahrscheinlich hat er sich erst mit ihr unterhalten, und sie kann sich nur nicht mehr daran erinnern, weil die ganze Episode so schrecklich war, daß sie sie aus ihrem Gedächtnis gestrichen hat. So etwas kommt vor!«
Er dachte an seine eigenen Erinnerungsfetzen, an den kalten Angstschweiß, die Wut, den Blutgeruch, seine Verwirrung und dann wieder die Finsternis.
»Das weiß ich!« sagte er bitter.
»Dann verfolgen Sie die Angelegenheit bitte weiter, Mr. Monk.« Sie sah ihn herausfordernd an, viel zu sehr von ihren eigenen Gefühlen beansprucht, um die seinen mitzubekommen.
»Oder, falls Sie nicht willens oder nicht dazu in der Lage sind, vielleicht können Sie mir einen anderen Ermittler empfehlen, der sie übernimmt.«
»Ich glaube nicht, daß Sie auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg haben, Mrs. Penrose«, sagte er etwas steif. »Ihnen das nicht zu sagen, wäre nicht ehrlich.«
»Ihre Integrität ist lobenswert«, sagte sie trocken. »Jetzt haben Sie es mir gesagt, ich habe es gehört und bitte Sie, trotzdem weiterzumachen.«
Er versuchte es noch einmal. »Sie werden nichts erfahren!«
Sie erhob sich von ihrem Schreibtisch und kam auf ihn zu.
»Mr. Monk, haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, was für ein scheußliches Verbrechen es ist, sich einer Frau aufzuzwingen? Vielleicht glauben Sie, es gehe hier nur um ein Quentchen Widerstand um der Sittsamkeit willen und daß es einer Frau, die nein sagt, im Grunde gar nicht ernst damit ist?«
Er öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Das ist eine verlogene Vereinfachung, mit der Männer einen brutalen Akt zu rechtfertigen versuchen, der einfach nicht zu entschuldigen ist. Meine Schwester ist jung und ledig. Gerade deshalb war es eine Schändung der übelsten Art. Sie wurde damit in… in die Bestialität eingeführt, anstatt in… in eine…« Sie errötete, wich seinem Blick jedoch nicht aus. »… eine heilige Verbindung, die sie… also – wirklich!« Sie verlor die Geduld mit sich. »Keiner hat das Recht, sich einem Mitmenschen gegenüber so zu benehmen, und wenn Sie von Natur aus zu unsensibel sind, um das zu
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