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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sein Gesicht im Sinn und seine Stimme im Ohr.
    Mit Gewalt richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die weltlichen Angelegenheiten vor ihr. Sie hatte die Absicht, mit Mrs. Flaherty zu sprechen, der Wirtschafterin, einer nervösen kleinen Frau, die außerordentlich leicht eingeschnappt war und nichts vergaß noch vergab. Sie verwaltete ihre Stationen mit fähiger Hand, sorgte mit einem Schreckensregiment für bemerkenswerten Fleiß und Nüchternheit unter den Schwestern und hatte dabei eine Geduld mit Kranken, die schier grenzenlos schien. Aber sie war absolut unbeweglich in ihren Überzeugungen und ihrem Glauben an die Ärzte, die im Krankenhaus herrschten. Vor allem jedoch weigerte sie sich kategorisch, sich neumodische Ideen oder die Leute, die sie vertraten, auch nur anzuhören. Noch nicht einmal der Name Florence Nightingale beeindruckte sie.
    Callandra stieg aus, sagte dem Kutscher, wann er sie wieder abholen solle, stieg dann die Stufen hinauf und trat durch das breite Portal in die mit Steinplatten ausgelegte Halle. Eine Frau mittleren Alters schlurfte durch den Raum, einen Eimer schmutzigen Wassers in der einen Hand, einen Scheuerlappen in der anderen. Sie war blaß und hatte ihr dünnes Haar hinten zu einem Knoten gedreht. Sie stieß mit dem Knie gegen den Eimer, der überschwappte, weshalb sie jedoch noch lange nicht stehenblieb. Sie ignorierte Callandra, als wäre sie unsichtbar.
    Ein junger Chirurg, noch in der Ausbildung, die scharlachroten Blutspritzer auf dem kragenlosen Hemd und der alten Hose stumme Zeugen seiner Anwesenheit im Operationssaal, ging mit einem Nicken an Callandra vorbei.
    Es roch nach Kohlenstaub, der Hitze von fiebernden Körpern, nach Krankheit, alten Verbänden, Eiter und ungeleerten Fäkalieneimern. Sie mußte sich mit der Wirtschafterin über die Moral der Schwestern unterhalten. Sie war mit dem Vortrag an der Reihe. Außerdem hatte sie den Kämmerer wegen neuer Mittel und der Umverteilung vorhandener zu sprechen und einige Fürsorgefälle zu begutachten. Sie würde das zuerst erledigen, dann hätte sie Zeit für einen Besuch bei Kristian Beck.
    Sie fand die Oberschwester in einer der Stationen für Chirurgiepatienten, sowohl solche, die auf ihre Operation warteten, als auch Genesungsfälle. Einige von ihnen hatten über Nacht Fieber bekommen; der Zustand anderer, die bereits im fortgeschrittenen Fieber lagen, hatte sich verschlimmert. Ein Mann lag im Koma und stand kurz vor dem Tod. Obwohl die erst kürzlich entdeckte Anästhesie eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnete, starben viele, die eine Operation überstanden hatten, hinterher an einer Infektion. Überlebende waren in der Minderzahl. Man hatte einfach keine Mittel gegen Blutfäulnis oder Wundbrand, nichts, womit man gegen die Symptome hätte angehen können, von einer Heilung ganz zu schweigen.
    Mrs. Flaherty kam aus der kleinen Kammer, in der Medikamente und saubere Bandagen aufbewahrt wurden. Ihr schmales Gesicht war blaß, ihr weißes Haar so straff nach hinten gezogen, daß es sogar die Falten um die Augen glattzog. Ihre Wangen zierten zwei Flecken zornigen Rots.
    »Guten Morgen, die Dame«, sagte sie schroff. »Für Sie gibt es heute hier nichts zu tun, und von Miss Nightingale und frischer Luft möchte ich auch nichts hören. Uns sterben die armen Leute hier am Fieber, und wenn wir auf Sie hören, bringt uns die Luft von draußen auch noch die übrigen um.« Sie warf einen Blick auf die Uhr, die ihr an einer Nadel von der dünnen Schulter hing, dann sah sie wieder Callandra an. »Und, Madam, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie bei Ihrer nächsten Ansprache über Moral und Anstand insbesondere auf die Ehrlichkeit zu sprechen kämen. Einige der Patienten sind bestohlen worden.
    Kleinigkeiten, sicher, aber sie haben ja auch nicht viel, sonst wären sie nicht hier. Obwohl Sie wahrscheinlich keinen großen Sinn darin sehen, so wie ich Sie kenne.«
    Sie betrat die Station, einen langen Raum mit hoher Decke, zu beiden Seiten von schmalen Betten gesäumt, die Patienten, waren sitzend oder liegend, in graue Decken gehüllt. Einige waren blaß, andere fieberten, einige warfen sich hin und her, während wieder andere einfach dalagen und entweder flach atmeten oder nach Luft schnappten.
    Eine junge Frau in einem schmutzigen Kittel kam den Weg zwischen den Betten herauf, einen offenen Eimer Fäkalien in der Hand. Als sie vorbeiging, drang Callandra ein heftiger saurer Gestank in die Nase.
    »Entschuldigen Sie«,

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