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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sagen, daß er ihr zu sehr nachgab, wenn es doch in ihrem besten Interesse gewesen wäre, ein bißchen mehr Disziplin walten zu lassen.« Sie zuckte die Achseln und bedachte Monk mit einem Lächeln. »Wie auch immer, das Ergebnis war, daß Prudence, als wir hier in England ein bißchen davon zu erfahren begannen, wie schlimm der Krieg auf der Krim geworden war, es sich in den Kopf setzte, unsere Soldaten dort zu pflegen. Und nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten.«
    Monk hatte alle Mühe, sie nicht zu unterbrechen. Er hätte dieser nicht weniger entschlossenen und ziemlich selbstgefälligen hübschen Frau, die diskret mit ihm flirtete, zu gern etwas über die Schrecken des Schlachtfelds und der Lazarette erzählt, die er von Hester gehört hatte. Er zwang sich jedoch, den Mund zu halten, und warf ihr einen aufmunternden Blick zu.
    Sie hätte ihn nicht gebraucht. »Natürlich nahmen wir alle an, sie hätte nach ihrer Rückkehr genug davon«, sagte sie rasch.
    »Sie hatte ihrem Land gedient, und wir waren alle stolz auf sie. Aber nichts dergleichen! Sie bestand darauf, weiter als Schwester zu arbeiten, und übernahm die Stelle in diesem Londoner Krankenhaus.« Sie beobachtete aufmerksam Monks Gesicht und biß sich auf die Lippe, als wüßte sie nicht so recht, was sie sagen sollte; ihrer kräftigen Stimme freilich war anzuhören, daß dem ganz und gar nicht so war. »Sie wurde sehr … sehr energisch«, fuhr sie fort. »Sie nahm kein Blatt vor den Mund, was ihre Ansichten anbelangte, vor allem den medizinischen Autoritäten stand sie sehr kritisch gegenüber. Ich fürchte, sie hatte Ambitionen, die völlig unmöglich waren, von ihrer Schicklichkeit ganz zu schweigen, und das machte sie bitter.« Sie forschte in Monks Augen in dem Versuch, seine Gedanken zu lesen. »Ich kann nur annehmen, daß einige ihrer Erfahrungen im Krimkrieg so schrecklich waren, daß ihr Verstand darunter litt. Womöglich wurde ihr Urteilsvermögen in Mitleidenschaft gezogen. Das Ganze ist wirklich sehr tragisch.« Sie sagte das völlig emotionslos.
    »Ausgesprochen«, pflichtete Monk ihr bei. »Es ist aber auch tragisch, daß jemand sie ermordet hat. Hat sie Ihnen gegenüber irgendwann einmal jemanden erwähnt, der sie bedroht haben, der ihr Böses gewollt haben könnte?« Es war eine naive Frage, aber es bestand immer die entfernte Möglichkeit einer überraschenden Antwort darauf.
    Nanette zuckte kaum merklich die Achseln, eine zarte, sehr weibliche Geste. »Nun, sie war sehr offen, und sie konnte ausgesprochen kritisch sein«, sagte sie zögernd. »Ich fürchte, es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß sie jemanden so beleidigt hat, daß er gewalttätig wurde. Ein schrecklicher Gedanke! Aber es gibt nun mal Männer mit ungezügeltem Temperament. Vielleicht war ihre Beleidigung sehr ernst, vielleicht bedrohte sie sein berufliches Ansehen. Sie schonte einen nicht gerade, wissen Sie.«
    »Hat sie jemanden beim Namen genannt, Miss Cuthbertson?«
    »Oh, mir gegenüber nicht! Aber Namen hätten mir ohnehin nichts gesagt, selbst wenn ich einen gehört hätte.«
    »Ich verstehe. Was ist mit Verehrern? Gab es Männer, die – Sie wissen schon – Grund gehabt hätten, sich von ihr abgewiesen zu fühlen oder eifersüchtig zu sein?«
    Eine leichte Röte überzog ihre Wangen, und sie lächelte, als hätte die Frage nicht die geringste Bedeutung für sie. »Derlei hat sie mir nicht anvertraut. Aber ich hatte den Eindruck, daß sie für solche Gefühle keine Zeit hatte.« Sie lächelte über die Absurdität eines solchen Wesens. »Da fragen Sie vielleicht besser jemanden, der sie jeden Tag sah.«
    »Das werde ich. Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Miss Cuthbertson. Wenn auch alle anderen so offen sind, dann kann ich mich wirklich glücklich schätzen.«
    Sie beugte sich etwas vor. »Werden Sie herausfinden, wer sie ermordet hat, Mr. Monk?«
    »Ja.« Er ließ keinerlei Zweifel daran, nicht weil er überzeugt davon gewesen wäre, geschweige denn, daß er etwas gewußt hätte, aber er hätte sich die Möglichkeit einer Niederlage nie eingestanden.
    »Dann bin ich beruhigt. Es ist ausgesprochen tröstlich zu wissen, daß es bei allen Tragödien wenigstens Leute gibt, die für Gerechtigkeit sorgen.« Wieder lächelte sie ihn an, und er fragte sich, warum in aller Welt Geoffrey Taunton sich nicht um diese Frau bemühte, die sich so vorzüglich für ihn zu eignen schien. Statt dessen hatte er Zeit und Gefühle auf Prudence Barrymore verschwendet. Sie

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