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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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besucht.«
    »Es muß ja etwas sehr Wichtiges gewesen sein, wenn Sie um diese Stunde bei ihr im Hospital waren.«
    »Das war es auch.« Mehr wollte Taunton nicht sagen. Sein Gesicht war ruhig, sein Ausdruck verschlossen.
    »Wenn Sie es vorziehen, sich darüber auszuschweigen, so überlassen Sie die Angelegenheit meiner Phantasie«, forderte ihn Monk mit einem harten Lächeln heraus. »Ich werde annehmen, Sie haben mit ihr gestritten, weil Sie ihre Beschäftigung mißbilligten.«
    »Sie dürfen annehmen, was Sie wollen«, sagte Taunton nicht weniger markig. »Es war eine private Unterhaltung, die ich gar nicht erwähnt hätte, wäre nicht etwas so Unseliges passiert. Und jetzt, wo die arme Prudence tot ist, werde ich auch nichts darüber sagen.« Er sah Monk herausfordernd an. »Es gereichte ihr nicht zur Ehre, das ist alles, was Sie daran zu interessieren braucht. Das arme Ding war ausgesprochen wütend, als ich ging – was ihr ganz und gar nicht stand –, aber sie war bei bester Gesundheit.«
    Monk überging das kommentarlos. Offensichtlich war Taunton noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, sich als Verdächtigen zu sehen. »Und sie hat Ihnen gegenüber auch nicht ein einziges Mal angedeutet, daß sie vor jemandem Angst hätte?« fragte Monk. »Oder daß jemand unfreundlich zu ihr gewesen sei, ihr vielleicht sogar gedroht hätte?«
    »Selbstverständlich nicht, das hätte ich Ihnen doch sofort gesagt. Da hätten Sie erst gar nicht zu fragen brauchen.«
    »Ich verstehe. Ich danke Ihnen, Sie waren wirklich sehr entgegenkommend. Ich bin sicher, Lady Callandra wird es Ihnen danken.« Monk wußte, er sollte ihm kondolieren, aber die Worte wollten ihm nicht über die Lippen. Er hatte seinen Zorn gezügelt, das mußte genügen. Er stand auf. »Jetzt möchte ich Sie nicht länger beanspruchen.«
    »Sie scheinen noch keine großen Fortschritte gemacht zu haben.« Taunton stand ebenfalls auf, und während er sich unbewußt die Kleidung glattstrich, sah er Monk kritisch an. »Ich sehe nicht, wie Sie den Betreffenden mit solchen Methoden finden wollen.«
    »Ich könnte Ihre Arbeit höchstwahrscheinlich auch nicht übernehmen, Sir«, sagte Monk mit einem verkniffenen Lächeln.
    »Was vielleicht auch gut so ist. Ich danke Ihnen noch einmal. Guten Tag, Mr. Taunton.«
    Es war ein heißer Spaziergang The Ride entlang über die Boston Lane und durch die Felder zur Wyke Farm, aber Monk genoß ihn ganz außerordentlich. Es war ein herrliches Gefühl, anstatt des Pflasters wieder die Erde unter den Füßen zu spüren, im Wind, der über das offene Land strich, den Weißdorn zu riechen, nichts zu hören als das Rauschen der reifenden Weizenähren und gelegentlich das ferne Gebell eines Hundes. London und seine Sorgen schienen in einem anderen Land, nicht nur wenige Meilen den Schienenstrang entlang. Einen Augenblick lang vergaß er Prudence Barrymore und gestattete seinen Gedanken etwas Ruhe und Frieden. Eine alte Erinnerung schlich sich ein: die ausgedehnte Hügellandschaft Northumberlands, die sauberen Winde vom Meer herein, am Himmel die kreisenden Möwen. Mehr war ihm von seiner Kindheit nicht geblieben: Eindrücke, ein Geräusch, ein Geruch, der immer dieselben Gefühle hervorrief, ein kurzer Blick auf ein Gesicht, das stets wieder verschwand, noch bevor er es richtig sah.
    Mit einemmal sah er sich in die Gegenwart zurückgerissen, und sein Vergnügen zerbrach: vor ihm thronte eine Frau auf dem Rücken eines Pferdes. Natürlich mußte sie über die Felder gekommen sein, aber so in Gedanken versunken wie er gewesen war, hatte er sie erst bemerkt, als sie ihn fast schon berührte. Sie ritt mit einer Leichtigkeit einer Person, für die das nicht weniger natürlich war als das Gehen. Sie war Anmut und Weiblichkeit in Person, der Rücken gerade, der Kopf erhoben, die Hände leicht an den Zügeln.
    »Guten Tag, Madam«, sagte er überrascht. »Ich entschuldige mich, Sie nicht früher gesehen zu haben.«
    Sie lächelte. Ihr Mund war breit, ihre Züge weich, die Augen, die vielleicht etwas zu tief lagen, schwarz. Ihr braunes Haar hatte sie nach hinten unter die Reitkappe gezogen, aber die schweren Locken milderten das strenge Bild. Sie war hübsch, ja fast schön.
    »Haben Sie sich verlaufen?« sagte sie mit einem belustigten Blick auf seine elegante Kleidung und die dunklen Stiefel. »Sie werden auf diesem Weg nichts finden außer der Wyke Farm.« Sie hatte ihr Pferd streng unter Kontrolle, als sie knapp einen Meter vor ihm stand, die

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